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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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die Toten spielen zum Tanz auf!«
    Tatsächlich erklang nun aus weiter Ferne die vertraute Melodie des Automaten. Magdalenas Herz schlug schneller. Offenbar war Virgilius mit seiner Puppe noch immer hier unten! Waren dann auch ihre Kinder und ihr Mann bei ihm? Sie spitzte die Ohren und versuchte auszumachen, aus welcher Richtung sie die Musik hörte. Die Töne schienen nicht aus der Kloake nebenan zu kommen, son dern von irgendwo vor ihnen, aus einem der anderen Gänge. Ganz leise glaubte Magdalena, nun noch ein weiteres Geräusch wahrzunehmen.
    Es war leises Kinderwimmern.
    Mit bebender Stimme wandte sie sich zu den Wachen um. »Hört ihr das? Es kann nicht mehr weit sein! Lasst uns also schnell …«
    Doch der Gang hinter ihr war leer. Die Wachen hatten bereits kehrtgemacht und waren zurück Richtung Bergfried gerannt. Nur noch ihre Schritte hallten durch die Dunkelheit.
    »Das werd ich dem Grafen erzählen, ihr abergläubischen Hosenscheißer!«, schrie Magdalena ihnen hinterher. »Mein Vater wird euch dafür mit der Rute peitschen! Prügeln wird er euch, bis ihr Lichter in allen Farben seht! Er wird euch …«
    Seufzend brach sie ab und stapfte allein den Gang weiter, wobei sie ständig auf die leise, kaum noch hörbare ­Musik und das Wimmern lauschte. Mehr als einmal verfluchte sie die beiden Wachleute, die sie so schmählich im Stich gelassen hatten. So wie es aussah, war sie nun ganz auf sich allein gestellt. Allein der Gedanke daran ließ sie frösteln. Mit Virgilius wäre sie vermutlich noch fertig geworden. Aber was war mit diesem Helfer, von dem die verrückte Alte gesprochen hatte? War er auch irgendwo hier unten?
    Magdalena schlang sich ihr Tuch um den Hals und versuchte nicht zu zittern. Wenigstens hatte sie noch die Fackel des einen Soldaten. Sie schätzte, dass sie ihr noch ­mindestens eine halbe Stunde Licht spenden würde. Was danach kam, wollte sie sich nicht ausmalen. Es war allein die Angst um ihre Kinder und ihren Mann, die sie weitertrieb.
    Kurz blieb sie stehen und lauschte angestrengt. Hatte sie sich das Weinen vielleicht nur eingebildet? Ihre Schritte wurden wieder schneller, sie lief, stolperte mehrmals, rappelte sich auf und tappte keuchend den Gang entlang, der übersät war von Geröll, morschen Balken und vereinzelten Knochen.
    Mit der Zeit fiel ihr auf, dass auch auf dem Boden des Tunnels gelegentlich ein grünes Leuchten zu sehen war. Dort befanden sich Spuren des weißen Pulvers, das sie und ihr Vater bislang nur in der ehemaligen Kloake gefunden hatten. Magdalena konnte sich nicht erinnern, es zuvor bereits im Gang gesehen zu haben. Doch sie war zu sehr in Eile, um dieser Entdeckung größere Bedeutung beizumessen.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte vor ihr endlich die Abzweigung auf, bei der sie sich damals für den rechten Weg entschieden hatten. Sie schloss die Augen und versuchte sich auf den leisen Klang der Musik und das Wimmern zu konzentrieren. Doch voller Verzweiflung musste sie feststellen, dass nun nichts mehr zu hören war.
    Um sie herum herrschte eine fast greifbare Stille, die nur vom Platschen vereinzelter, von der Decke fallender Tropfen unterbrochen wurde.
    Magdalena schluckte schwer, dann beschloss sie, alle Vorsicht fahrenzulassen und laut zu rufen.
    »Peter? Paul? Seid ihr hier irgendwo? Könnt ihr mich hören?«
    Noch immer war nichts zu vernehmen außer dem leisen Tropfen. Doch plötzlich kam aus dem zweiten Gang ein Laut, den Magdalena zunächst nicht einordnen konnte. Er klang wie das ferne Brummen eines Bären. Es dauerte eine Weile, bis sie erkannte, dass es sich um das Stöhnen eines Mannes handelte. Nur einen Augenblick später erklang eine Stimme, die ihr die Tränen in die Augen trieb.
    »Mama? Mama, wo bist du?«
    »Mein Gott, Peter!« Panisch hastete Magdalena den Gang entlang, als mit einem Mal irgendwo vor ihr in der Dunkelheit schnelle Schritte erklangen. In weiter Ferne glaubte sie einige Schemen wahrzunehmen, die jedoch ebenso schnell wieder verschwunden waren.
    »Peter!«, schrie sie. »Bist du das?«
    »Mama, hier! Hier bin ich!«
    Die Stimme ihres älteren Sohnes kam nicht von dort, wo die Schemen gewesen waren, sondern irgendwo aus der Wand. Als Magdalena um eine weitere Kurve bog, tauchte zu ihrer Linken ein aus groben Felsblöcken gemauerter, runder Durchgang auf. Ganz nah konnte sie jetzt das Stöhnen hören, immer wieder unterbrochen vom Wimmern ihres Kindes. Sie stolperte durch das Portal und betrat ein niedriges Gewölbe, in

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