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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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eine vom Regen klatschnasse Gestalt erschienen war. Die Kleider des Mannes dampften in der Schwüle der Höhle, mit seinem breiten behaarten Handrücken wischte er sich die Tropfen aus dem Gesicht. Als Simon ihn schließlich erkannte, zappelte der Medicus wie ein Fisch auf dem Trockenen, doch es war aussichtslos. Hilflos musste er mit ansehen, wie seine Söhne ihre Arme nach dem Neuankömmling ausstreckten und ihn laut juchzend willkommen hießen.
    »Schau an, ich wusste immer, mein Diener hat ein Herz aus Gold«, sagte Virgilius. »Manchmal ist es eben von Vorteil, keine Zunge zum Schimpfen zu haben.«
    Krächzend streckte Simon die Hand nach dem Mann aus, doch sie fiel kraftlos zu Boden.
    Im Dunkel der Höhle stand der stumme Matthias.
    Vorsichtig ließ sich Magdalena in das dunkle Loch hinabgleiten, während die beiden Wachen ihr maulend hinterherkletterten.
    Den Männern war anzusehen, dass sie sich schönere Dinge vorstellen konnten, als in die namenlose Finsternis unter der ehemaligen Andechser Burg zu steigen. Fluchend sprangen sie auf den Schutthügel, den der Schongauer Henker erst vor einer halben Stunde dort angehäuft hatte. Mit ihren Fackeln leuchteten sie das Ende des Ganges ab und starrten dabei ängstlich in die Dunkelheit vor ihnen.
    »Wir müssen ein ganzes Stück zurück«, sagte Magdalena und klopfte sich den Staub aus den Haaren. »Weiter vorne zweigt ein weiterer Gang ab, den ich noch nicht kenne. Schnell jetzt, wir haben keine Zeit zu verlieren!«
    »Glaub ja nicht, dass wir von einer ehrlosen Henkerstochter Befehle annehmen«, knurrte der ältere der beiden Soldaten. Er trug einen abgeschabten Helm und einen ebenso zerkratzten Brustpanzer, unter dem er gehörig zu schwitzen schien.
    »Genau, Hans«, stimmte ihm der Jüngere zu. »So weit kommt’s noch. Ist sowieso ein ausgemachter Schmarren, hier wie die Ratten herumzukriechen. Bloß weil du Weib den Rock vorm Grafen hebst, müssen wir uns jetzt durch den Dreck wühlen.«
    »Soll ich das Seiner Exzellenz ausrichten, oder willst du es ihr lieber selbst sagen?«, erwiderte Magdalena kühl.
    »Gott bewahre! Ich … ich …«, stammelte der Wachmann.
    »Wunderbar. Dann können wir ja jetzt endlich los.« Magdalena nahm dem verdutzten Soldaten die Fackel ab und stapfte voran. Leise schimpfend folgten ihr die beiden Wachleute, während die Henkerstochter versuchte, ihre Tränen und ihre Wut zu zügeln.
    Es fiel Magdalena schwer, so beherrscht aufzutreten. Das Herz schlug ihr fast bis zum Hals, wenn sie daran dachte, was dieser Hexer ihren Kindern und ihrem Mann angetan haben konnte. Doch sie hatte von ihrem Vater gelernt, dass man Gefühle manchmal verbergen musste, um ans Ziel zu gelangen. Wenn sie hier weinte und klagte, würden ihr die Männer nicht folgen. Sie würden vielleicht einige Schritte weit in den Gang hineingehen, um dem Befehl ihres Vorgesetzten Folge zu leisten, nur um dann schleunigst wieder an die Oberfläche zurückzukehren. Also musste sie sich wohl oder übel zusammenreißen.
    Nachdem sie einige Minuten durch die Finsternis getappt waren, begann der Geruch nach Fäulnis und Urin wieder stärker zu werden. Der ältere Wachmann rümpfte angeekelt die Nase.
    »Das stinkt ja hier wie im Scheißhaus des Teufels«, brummte er. »Bei Gott, was ist das?«
    »Es ist das Scheißhaus des Teufels«, erklärte Magdalena. »Aber das hat uns nicht zu kümmern. Wir müssen nur …«
    »Jesus, Maria!« Der junge Wachmann blieb plötzlich mit offenem Mund stehen und deutete auf das schwache grüne Leuchten vor ihnen. »Schaut selbst! Spukgestalten! Sie locken uns mit Lichtern in die Irre. Bei allen Heiligen, lasst uns sofort umkehren!«
    Magdalena schloss die Augen und schalt sich selbst dafür, dass sie das Leuchten des Phosphors in der alten Kloake vergessen hatte. Sie hätte die Männer darauf vorbereiten müssen! Nun schienen sie drauf und dran, Hals über Kopf davonzulaufen.
    »Äh, das ist ein wenig schwierig zu erklären«, begann sie. »Aber es sind keine Spukgestalten. Es sind nur …«
    »Tote, die keine Ruhe finden!«, jammerte Hans und schlug auf seinem Brustpanzer laut pochend ein Kreuz. »In welches Höllenloch hast du uns hier nur gelockt, Henkers­tochter?«
    »Verflucht, hört mir doch mal zu! Mein Vater hat es mir erklärt. Es ist ein Pulver, das …«
    »Da, es kommt aus dem Raum dort drüben!«, wimmerte der junge Wachmann und zeigte auf den Durchgang, der zur Kloake führte. »Und hört ihr das? Diese Musik? Bei Gott,

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