Der Hexer und die Henkerstochter
aus.
»Kkkkannn … selber … laaauuufen«, brachte er krächzend hervor. »Kkkkaaan selber …« Doch Magdalena griff ihm energisch unter die Arme.
»Das glaubst auch nur du«, erwiderte sie, zog ihn hoch und brachte ihn fürsorglich bis zur Tür.
Als sie sie vollständig öffnete, starrte sie in eine weitere Höhle.
Magdalena schrie enttäuscht auf. Kurz glaubte sie, sie hätten nur einen weiteren unterirdischen Gang erreicht, doch dann spürte sie den Wind auf ihrem Gesicht, sie hörte erneut das Rauschen des Regens und roch die Blumen aus dem Garten. Nun begriff sie, dass sie in der künstlichen Grotte standen, die ihr der Abt erst vor zwei Tagen gezeigt hatte. In der Mitte befand sich das Becken mit den Statuetten der griechischen Götter; die Tür, durch die sie die Höhle betreten hatten, war mit grauem Gips überzogen, so dass sie von dem Fels um sie herum nicht zu unterscheiden war.
Peter war bereits in den Garten gelaufen und kletterte nun jauchzend auf eines der kleinen Mäuerchen, während der Regen auf ihn herabprasselte und den Ruß aus seinem Gesicht wusch. Fröhlich winkte er seiner Mutter zu, die Schrecken der vergangenen Stunden schien er gut überstanden zu haben.
Magdalena spürte einen Stich in der Brust, als sie an ihren jüngeren Sohn dachte. Wohin mochte Matthias den kleinen Paul gebracht haben? War er überhaupt noch am Leben?
Ein plötzlicher Druck auf ihrer Schulter ließ sie aufschrecken. Es war Simon, der sich an ihr aufstützte.
»Kkkkaaann … selber … laaauuufen«, stammelte er noch einmal.
Simon löste sich von ihr und stakste wie eine Puppe hinaus in den Garten. Er wirkte wie ein Untoter auf der Suche nach seinem Grab.
Als der Medicus erst einige Meter gegangen war, ertönte plötzlich ein gewaltiges Krachen. Zunächst glaubte Magdalena an Donnerschläge, doch dann begann die Erde unter ihr mit einem Mal zu zittern, Felsbrocken lösten sich und fielen um sie herum auf die Erde. Ein besonders schwerer Stein stürzte direkt vor ihr auf das Becken mit den griechischen Statuetten und begrub es knirschend unter sich.
Hinter Magdalena ertönte aus der Tiefe des Ganges ein Brausen und Tosen, als hätte die Hölle nun tatsächlich ihre Pforten geöffnet. Instinktiv warf sich die Henkerstochter nach vorne in die nasse Wiese des Gartens und beobachtete von dort, wie die kleine Grotte hinter ihr vollständig in sich zusammenstürzte.
Hic est porta ad loca inferna …
Das grüne Feuer hatte die unterirdische Kloake erreicht.
Sowohl Jakob Kuisl als auch Virgilius hielten den Atem an, als die Schritte auf der knarzenden Treppe sich dem Glockenstuhl näherten. Es waren langsame, gemächliche Schritte; der Mensch, der dort unten die Stufen herauftappte, hatte offensichtlich Zeit. Oder er war zu müde und alt, um die steile Stiege hochzuhasten.
Endlich zeigte sich in der Öffnung eine schwarze Kapuze, die Gestalt darunter wuchs empor, bis sie schließlich ganz zu sehen war. Sie hielt eine brennende Fackel in der Hand, die den Glockenstuhl in flackerndes Licht tauchte. Dünne, gichtige Finger zogen das grobe Tuch, das bislang das Gesicht des Mannes verbarg, nach hinten.
Virgilius schrie überrascht auf. Vor ihnen stand der Andechser Abt.
Sein Gesicht war zerfurcht wie trockene Erde, die dünne Mönchstonsur darüber schlohweiß. Maurus Rambeck schien in der letzten Woche um Jahre gealtert zu sein.
»Maurus!«, zischte Virgilius, als er seinen älteren Bruder erkannte. »Was tust du hier?«
»Dich vor noch Schlimmerem bewahren«, erwiderte der Abt mit fester Stimme. »Wenn das überhaupt noch möglich ist. Lass sofort das Kind los.« Er deutete auf den kleinen, leise wimmernden Paul und kam langsam auf den Uhrmacher zu.
»Niemals!«, schrie Virgilius. Er wich zurück und hielt den zappelnden Buben über das sturmumtoste Gerüst. »Bleib, wo du bist, Maurus! Auch du wirst mich nicht daran hindern können, meine Aurora zurückzuholen!«
»Du bist krank, Virgilius«, sagte Pater Maurus leise. »Sehr krank. Sieh ein, dass es zu Ende ist. Überantworte dich Gott und lade nicht noch mehr Sünden auf dich und dieses Kloster.«
»Aber … aber du hast mir doch geholfen!«, flehte Virgilius. »Du selbst wolltest doch, dass Aurora zu mir zurückkommt.«
»Das wollte ich nie!« Die Stimme des Abts schwoll drohend an. »Ich wollte, dass dieser ganze Wahnsinn ein Ende hat. Ja, auch um dich zu retten, aber vor allem zum Wohle des Klosters! Das war ein Fehler, wie ich jetzt einsehen
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