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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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sie nicht bekam, entführte er sich einfach selbst, um Euch zu erpressen«, erwiderte der Henker barsch. »Gebt zu, Ihr wusstet, dass er dahintersteckte.«
    »Ich … ich ahnte es. Ich fand in unserer Bibliothek dieses Buch über Golems, ich las darin, und so langsam dämmerte mir, was Virgilius vorhatte.« Der Abt schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich wusste, dass ich ihn nicht mehr aufhalten konnte, aber ich wollte auch nicht die Wachen auf ihn hetzen. Er war doch immerhin noch mein Bruder! Sie hätten ihn gefoltert und verbrannt!«
    »Statt seiner musste mein Freund Nepomuk dran glauben«, knurrte Jakob Kuisl.
    Pater Maurus zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Es war wie ein Rinnsal, das größer und größer wird, bis der Fluss einen schließlich wegreißt. Ich war wie von Sinnen! Als Ihr mich in Virgilius’ Haus ertapptet, war ich kurz davor, alles zu gestehen. Doch dann hoffte ich, dass Ihr vielleicht meinen Bruder aufhalten könntet. Dass ich erfahren würde, wo er sich versteckte.«
    Noch immer summte Virgilius die Melodie des Automaten, Kuisl sah vorsichtig zu ihm hinüber, doch Paul hing weiterhin wimmernd über dem Gerüst.
    »Nicht Virgilius, sondern Ihr habt auf dem Friedhof den toten Mönch ausgegraben, verbrannt und in den Brunnen geworfen!«, sagte Kuisl nun in drohendem Ton zu dem Abt. »Ihr hattet Angst, dass wir Eurem Bruder auf die Schliche kommen. Gebt es zu!«
    »Das ist wahr.« Maurus lächelte. »Auf einmal erschien es mir doch zu gefährlich, dass Ihr meinen Bruder an den Weilheimer Landrichter ausliefern könntet. Also hab ich den guten alten, an Schwindsucht verschiedenen Bruder Quirin den Flammen überantwortet und einen von Virgilius’ Gehstöcken danebengelegt. Sogar den Ringfinger hab ich Quirin abgeschnitten, damit er ganz wie der tote Virgilius aussieht! Eine Leiche kann schließlich keine Morde begehen, nicht wahr?« Der Abt blinzelte dem Henker zu. »Sagt, wie habt Ihr das herausgefunden?«
    »Ihr selbst wart es, der den Toten verdächtig schnell im Brunnen gefunden hat«, erwiderte Jakob Kuisl. »Außer dem – wie hätte ein Buckliger mit Gehstock das Grab aushe ben sollen? Ich fand auch keine Abdrücke des Stocks. Das Einzige, was ich nicht verstanden hab, war dieses Tuch.«
    Der Abt sah ihn verwundert an. »Welches Tuch?«
    »Am Grab lag ein Spitzentaschentuch mit der Initiale ›A‹. Mein abergläubischer Schwiegersohn dachte schon, es sei ein Tuch von dieser Aurora.«
    »Ach, das?« Maurus Rambeck lachte leise. »Ich muss das Tüchlein wohl beim Graben verloren haben.« Er schüttelte erneut den Kopf. »›A‹ steht für ›Abt‹. Es sind Tücher, wie sie jeder Vorgesetzte dieses Klosters erhält, zusammen mit Handschuhen, Servietten und etlichem anderen Tand. Alle tragen dieses Insignium.«
    Das Summen hatte plötzlich aufgehört. Als Jakob Kuisl erneut hinüber zu Virgilius sah, bemerkte er, dass dessen Augen noch immer geschlossen waren. Der bucklige Uhrmacher hielt den Buben wie eine Opfergabe hinaus in den Regen.
    »Ich … ich verstehe«, murmelte Virgilius plötzlich wie in Trance. »Nun erst verstehe ich. Es kann kein neues Leben geben, ohne dass ein altes stirbt. Alles ergibt einen Sinn! Du hier, Maurus, als Bote Christi, dieser Henker als Abgesandter der Hölle und dann der Junge. Vor allem der Junge. Gott hat ihn mir gesandt.«
    Ein weiterer Blitz zuckte am Himmel, und Virgilius trat noch einen winzigen Schritt näher an das Geländer. Feierlich hob er den weinenden Buben den schwarzen Wolken entgegen.
    »O du zorniger Gott, nimm dieses lebende Geschenk von mir an und gib mir meine Aurora wieder!«, flehte er.
    Dann ließ Virgilius den Jungen fallen.
    Wie zwei Tote lagen Magdalena und Simon im prasselnden Regen auf dem Boden des Klostergartens, während der kleine Peter immer noch auf den efeuumrankten Mauern balancierte. Hinter ihnen fielen die letzten Reste der künstlichen Grotte in sich zusammen. Der Eingang in die Unterwelt war für immer versperrt.
    Simon hustete und spuckte Schleim und Wasser, doch der kühle Regen hatte zumindest dafür gesorgt, dass die Lähmung noch etwas mehr nachgelassen hatte. Mittlerweile konnte er sogar wieder sprechen, wenn auch die Worte immer noch seltsam gedehnt über seine Lippen kamen. In stockenden Sätzen berichtete er Magdalena, was ihm in den Gängen widerfahren war.
    »Er … er hat unseren Paul mitgenommen«, brachte er keuchend hervor. »Gemeinsam mit diesem gottverfluchten Matthias! Ich … ich wusste

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