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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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So, wie auch all die anderen Menschen nur Hindernisse waren.« Plötzlich blickte er Kuisl direkt an, seine Augen waren kleine schmale Schlitze. »Und wenn du dich nur einen Schritt rührst, wird auch dein Enkel ein solches Hindernis sein. Hast du mich verstanden?«
    Der Henker nickte grimmig und hob erneut die Hände. »Ich hab verstanden«, sagte er leise. »Und was hast du nun vor? Willst du bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf einen Blitz warten? Nur weil mein Freund Nepomuk hier oben ein Stückerl Draht aufgehängt hat, heißt das noch lange nicht, dass der Blitz hier auch einschlägt. Es kann heute passieren, beim nächsten Gewitter oder erst in ein paar Jahren. Dein Automat wird hier oben festrosten, weiter nichts.«
    »Ha! Du verstehst nichts!«, fauchte Virgilius. »Glaubst du, ich würde all diese … diese Beschwernisse auf mich nehmen, wenn ich nicht gesehen hätte, dass es funktioniert?« Er zog unter seinem Rock ein Fläschchen hervor und näherte sich damit der lächelnden Puppe, die an die aufrechte Bahre geschnallt war.
    »Dein einfältiger Nepomuk hat mir von seinen Blitz­experimenten erzählt!«, fuhr Virgilius lachend fort. »Ich war der Einzige, der wusste, dass er im Turm einen seiner sogenannten Banner aufgehängt hatte. Und dann schlug der Blitz tatsächlich hier ein! Quod erat demonstrandum! Von diesem Zeitpunkt an wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war. Es fehlte nur noch das Aqua vitae  …« Er zog mit den Zähnen den Korken aus der Flasche und begann die Flüssigkeit sorgfältig in ein Loch im Rücken der Puppe zu träufeln.
    »Wie Blut wird dieses Lebenswasser durch ihre künst­lichen Adern pulsieren«, murmelte er. »Wie Blut! Der Blitz wird einschlagen, und meine Aurora wird endlich wieder bei mir sein. Das Warten hat ein Ende!«
    Als die Flasche schließlich leer war, warf Virgilius sie mit einem Schrei in die Tiefe. Dann ging er mit dem Jungen auf dem Arm in die andere Ecke des Turms, lehnte sich an die Mauer und wartete, während seine Lippen sich leise bewegten wie bei einem Gebet.
    »Blitze, Lebenswasser! Das ist der größte Schmarren, den ich je gehört habe!«, blaffte der Henker. »Dagegen waren Nepomuks Versuche ja die reinste Wissenschaft. Nun gib mir endlich meinen Buben und sag, was du mit dem Peter und meinem Schwiegersohn angestellt hast! Ich hoffe für dich, dass sie noch leben. Sonst wird dieses Gewitter nur ein Vorspiel sein zu dem Sturm, wenn ich über dich komme.«
    Noch immer wagte Kuisl nicht, sich Virgilius und dem Jungen zu nähern. Der Mord an Matthias hatte ihm gezeigt, dass der Uhrmacher zu allem fähig war. Seine Drohungen sollten nur dazu dienen, Zeit zu schinden, während er hoffte, dass Virgilius irgendeinen Fehler machte. Doch der Mönch packte den schreienden Knaben nur umso fester.
    »Wage nicht, dich mir zu nähern«, zischte Virgilius. »Viele Menschen sind bereits gestorben für die Erfüllung meines Traums. Auf dieses winzige Leben da kommt es nun auch nicht mehr an.« Sehnsuchtsvoll blickte er hinüber zu dem Automaten, während ein weiterer Donner über das Land rollte. »Und jetzt wollen wir gemeinsam warten.«
    In diesem Augenblick erklang auf der Treppe unter ih nen ein leises, regelmäßiges Tappen, das trotz des rauschen den Regens gut zu hören war. Es waren Schritte, langsam und bedächtig.
    Jemand kam den Turm herauf.
    In den Katakomben der Burg starrte Magdalena wie gelähmt auf den Altar, auf dem sich in Windeseile blaue Flammen ausbreiteten. In Sekundenschnelle war der gesamte steinerne Block von einem brennenden Teppich umhüllt. Das Feuer wanderte vom Sockel zum Boden und lief dort in schmalen Bahnen zu den vielen Haufen weißen Pulvers, die sich überall auf dem Boden befanden.
    »Raus hier!«, schrie Magdalena und packte ihren Sohn. »Auf der Stelle!«
    Mit Entsetzen fiel ihr ein, dass Simon ja nicht weglaufen konnte. Einen kurzen Moment zögerte sie, dann gab sie Peter einen Klaps und deutete auf den Ausgang. »Renn weg, Peter! Schnell! Ich muss mich um deinen Vater kümmern!«
    Der Junge schien zu begreifen. Ohne weiter auf das blau züngelnde Flammenmeer um ihn herum zu achten, lief er auf das Portal zu und war schon bald darauf verschwunden. Magdalena beugte sich derweil zu ihrem Mann herunter und fing an, ihn zu schütteln.
    »Simon, du musst aufstehen!«, rief sie. »Bitte, bitte, steh doch auf!«
    Simon ächzte, ganz langsam hob er die Arme, doch seine Beine schienen noch immer wie mit Seilen an den nackten

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