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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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gleich, dass man diesem Burschen nicht trauen kann!«
    Magdalena zuckte traurig mit den Schultern. »Du hast recht, aber das bringt unseren Buben auch nicht wieder zurück. Falls er überhaupt noch lebt, ist er bei dem Gewitter irgendwo dort draußen. Wenn ich nur wüsste …« Plötzlich sprang sie auf.
    »Natürlich, wie konnte ich das nur vergessen!«, rief sie lachend. »Diese verfluchte Angst macht mich noch ganz deppert. Sie sind bestimmt auf den Glockenturm gegangen!«
    Simon sah sie stirnrunzelnd an. »Auf den Glockenturm?«
    Magdalena nickte eifrig. »Erinner dich, Simon! Es muss Matthias gewesen sein, der mich damals von dort oben beinahe hinuntergeworfen hat. Vermutlich hatte er damals bereits alles für das große Experiment seines Meisters aufgebaut, und ich habe ihn dabei gestört. Diesmal wollen sie es zu Ende bringen! Der Blitz soll dort oben im Glockenturm einschlagen, ganz sicher!«
    Sie stand hastig auf und rief Peter zu sich, der sofort angerannt kam. Besorgt blickte sie hinunter auf den noch immer am Boden liegenden Simon.
    »Kannst du laufen oder willst du lieber …«
    »Ob ich hierbleiben will, während mein jüngster Sohn in den Händen eines Wahnsinnigen ist?«, krächzte Simon und richtete sich mühsam auf. »Machst du Witze? Eher krieche ich auf allen vieren zu diesem verfluchten Glockenturm.«
    »Dann los!« Magdalena zog ihren Mann zu sich hoch, nahm Peter bei der Hand und führte die beiden zügig über die Felder und Wiesen, immer auf das Kloster zu. ­Simon stolperte und taumelte, doch mit Magdalenas Hilfe schaffte er es tatsächlich, aus eigener Kraft zu gehen. Sie kamen schneller voran als erwartet.
    »Du könntest recht haben«, keuchte Simon und zeigte auf den dunklen Glockenturm in der Ferne, der im Sturm beinahe ein wenig zu schwanken schien. »Wenn hier irgendwo der Blitz einschlägt, dann dort oben.«
    Magdalena schlug hastig ein Kreuz. »Möge Gott verhüten, dass es so weit kommt.«
    Noch immer hingen die Gewitterwolken schwarz und schwer über dem Heiligen Berg. Regen rauschte, der Sturm tobte wie ein irres Rind; die Getreidefelder waren vom ­Hagel niedergemäht.
    Auf ihrem Weg stießen die drei immer wieder auf zersplitterte Äste von Obstbäumen, die der Sturm abgerissen hatte. Schon jetzt war klar, dass die Ernte dieses Jahr verheerend ausfallen würde, die Leute würden wieder einmal hungern müssen.
    Nach wenigen Minuten kamen sie an die äußere Klostermauer. Das Gatter stand mit schiefen Angeln offen, der Wind hatte es einfach zur Seite geweht. Schweigend liefen sie durch menschenleere Gassen, in denen der Schlamm knöcheltief war. In den Fenstern der Wirtschaftsgebäude und des Klosters brannte teilweise Licht; mehrmals glaubte Magdalena ein ängstliches Gesicht hinter dem Schlitz einer Fensterluke zu sehen, doch sie eilte weiter.
    Kurz hatte sie überlegt, den Abt oder einige der anderen Mönche um Hilfe zu bitten. Aber zum einen wurde Simon noch immer von den Andechser Bütteln gesucht, und außerdem hoffte sie, dass Jakob Kuisl ohnehin mit einigen von Wartenbergs Soldaten unterwegs zum Kirchturm war. Vermutlich hatte auch ihr Vater begriffen, dass Virgilius dort oben sein Experiment durchführen wollte.
    Nachdem sie die letzten steilen Meter zurückgelegt hatten, standen sie endlich auf dem schlammigen Vorplatz der Kirche und starrten hinauf zum Turm. Regentropfen rannen ihnen in die Augen, und obwohl es erst auf sieben Uhr abends zuging, war es fast so dunkel wie in der Nacht.
    »Da!«, schrie Simon plötzlich und deutete auf einen winzigen Punkt im Glockenstuhl, der sich zu bewegen schien. »Du hattest recht, da ist jemand! Aber ich kann, zum Teufel noch mal, nicht erkennen, wer es ist.«
    Magdalena kniff die Augen zusammen und schirmte ihr Gesicht gegen den strömenden Regen ab, doch auch sie konnte nicht mehr ausmachen als eine Gestalt, die eine Art Bündel über das Gerüst hielt. Von ihrem Vater und den gräflichen Soldaten war nichts zu sehen.
    »Wer auch immer dort oben ist, wir sollten uns beeilen«, erwiderte sie. »Zur Not geh ich eben alleine. Du bleibst mit dem Peter unten, und ich …«
    Sie hielt inne, als ein leises Stöhnen zu vernehmen war. Es schien aus dem Inneren der Kirche zu kommen. Magdalena lauschte kurz, dann raffte sie ihren schlammbespritzten Rock und rannte auf das Portal zu, während Simon und Peter ihr langsam folgten.
    Im Inneren des Kirchenschiffs war es so düster, dass nur Umrisse der Einrichtung zu erkennen waren.

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