Der Hexer und die Henkerstochter
und so schweigsam wie sein Vater. Als Scharfrichterlehrling half der Dreizehnjährige gelegentlich bei den Hinrichtungen, schon in ein paar Jahren erwartete ihn seine Meisterprüfung – eine standesgemäße Enthauptung.
»Wenn die Mama erfährt, dass du den zwei Kleinen schon wieder Spezereien gekauft hast, wird sie dich ausschimpfen«, mahnte Barbara, während sie lächelnd näher kam. »Sie meint ohnehin, dass du sie zu sehr verwöhnst.«
»Passt nur auf, dass ich euch keine Tracht Prügel verpass, Saubande«, murrte der Henker. »Hab ich dem Georg nicht gesagt, dass er den Schinderkarren saubermachen soll? Und dann treff ich ihn unten am Stadel mit einer Schleuder in der Hand! Was hattest du dort unten eigentlich zu suchen?«
»Spatzen schießen wollt ich mit den anderen«, erwiderte Georg kurz angebunden. Seine Stimme war nicht so tief wie die seines Vaters, aber sie klang bereits genauso grimmig. »Aber dann waren’s nur ein paar Galgenvögel, die ich getroffen hab.«
»Du solltest froh sein, dass er dort unten war, Vater«, mischte sich Barbara ein. »Den Berchtholdt hat man noch bis ins Gerberviertel schreien hören. Ich möcht nicht wissen, was der mit unseren Schrazn angestellt hätt, wenn der Georg mit den anderen nicht gekommen wär.«
»Ach was, mit denen wär ich schon fertig geworden«, knurrte der Henker.
»Mit zwölf Mann?« Georg lachte. »Vater, übernimm dich nicht. Du bist nicht mehr der Jüngste.«
»Für die Berchtholdt-Brut reicht’s allemal. Im Krieg hab ich solch junge Gockel zu Dutzenden über die Klinge springen lassen. Nicht viel älter als du war ich damals, aber Kraft hab ich für zwei gehabt. Kraft und Scharfsinn, darauf kommt es an!«
Jakob Kuisl zog an seiner Pfeife und sah den Rauchwolken beim Aufsteigen zu. Während Barbara mit den beiden Kleinen hinunter zum Weiher ging, setzte sich sein Sohn neben ihn auf einen Felsen und starrte auf das sich kräuselnde Wasser. Nach einer Weile reichte ihm Jakob Kuisl schweigend die Pfeife hinüber. Georg musste grinsen. Er wusste, dass sein Vater sich niemals für etwas bedanken würde. Doch diese Geste war mehr Dank als tausend Worte. Es war das erste Mal, dass ihn der Alte an seiner Pfeife ziehen ließ. Mit geschlossenen Augen sog Georg den süßlich duftenden Rauch ein und stieß ihn wie ein kleiner Drache wieder aus.
»Wie geht’s der Mutter?«, brummte Jakob Kuisl schließlich.
Georg zuckte die Achseln. »Sie schläft viel. Die Stechlin ist jetzt bei ihr. Sie hat ihr einen Sud aus Lindenblüten und Weidenrinde gemacht.«
»Weidenrinde ist gut. Das senkt das Fieber.«
Wieder verging eine Weile, bis Georg sich schließlich räusperte. »Du hast vorher gesagt, ich sei jetzt so alt wie du damals im Krieg …«, begann er stockend. »Was hast du damit gemeint? Du hast mir nie viel von damals erzählt.«
»Weil’s nichts zu erzählen gibt außer Hauen, Stechen und Morden.« Der Henker spuckte braunen Tabaksaft in die Blumenwiese. »Und wer zurückkommt, der hofft bloß, dass ihn der Krieg nicht in seinen Träumen heimsucht. Warum soll ich davon erzählen?«
»Immerhin hast du damals die Mutter kennengelernt«, warf Georg ein. »Und du hast die Welt gesehen.« Er deutete abfällig nach hinten, wo die Mauern der Stadt zwischen den Bäumen zu sehen waren. »Nicht nur dieses kleine stinkende Schongau.«
»Glaub mir, die Welt stinkt überall gleich. Sie riecht nach Tod, Krankheit und Pferdemist. Ob du in Paris bist oder in Schongau, spielt keine Rolle.« Der Henker sah seinen Sohn ernst an. »Wir können nur dafür sorgen, dass sie weniger stinkt. Steck deine Nase in Bücher, Bub. Dort riecht’s immer noch am besten.«
Georg seufzte. »Du weißt doch, dass mir die Leserei nicht liegt. Ganz anders als die Barbara, die liest Paré und Paracelsus, als hätt sie’s selber geschrieben. Und ich stotter schon beim Paternoster.«
»Schmarren!«, zischte Jakob Kuisl. »Du bist nur zu faul. Ein Henker, der nicht lesen kann, taugt allenfalls zum Schinder! Von was willst du denn leben? Wir Henker töten nicht nur, wir heilen auch. Damit verdienen wir unser meistes Geld. Und wie willst du heilen, wenn du keine Bücher lesen kannst?«
»Ich glaub, ich taug besser zum Töten als zum Heilen, Vater.«
Die Maulschelle erwischte Georg so hart an der Lippe, dass sie aufplatzte und Tropfen von Blut auf seine Lederweste fielen. Benommen rieb er sich das Gesicht, die Pfeife lag vor ihm im Gras.
»Wie kannst du einen solchen Unsinn
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