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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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reden?«, knurrte sein Vater, das Gesicht weiß vor Wut. »Willst du dein Leben lang nur Knochen brechen und Köpfe abschlagen? Willst du ein Ehrloser bleiben, vor dem die Leut weglaufen oder zu dem sie sich nur nachts wagen, um ein Stückerl Henkerstrick oder ein Flascherl Blut zu kaufen?« Jakob Kuisl hob die Pfeife vom Boden auf und klopfte die Asche heraus. »Willst du das? Nur den Mist der anderen aufkehren und ihre Dreckarbeit machen? Ich dacht, ich hätt dich was anderes gelehrt.«
    »Aber … aber was bleibt uns denn schon übrig?«, stotterte Georg. »Wir dürfen doch keinen anderen Beruf erlernen. Henker bleiben Henker, so war es immer. Oder hast du je einen gekannt, der etwas anderes geworden ist?«
    Jakob Kuisls Augen wurden plötzlich leer, sein Blick schien weit in die Vergangenheit zurückzureichen.
    »Vielleicht …«, murmelte er. »Ja, vielleicht kannte ich einen.«
    Die zappelnden Leiber in den Ästen der Eiche … Der junge Regimentsscharfrichter schreitet die Reihen der Marodeure ab, einem nach dem anderen legt er die Schlinge um den Hals und zieht die wimmernden Burschen mit seinen starken Armen hinauf in den Wipfel … Nur Jakob sieht die Tränen auf den Wangen des Henkers, das Zittern, das durch seinen stämmigen unförmigen Körper geht, die lautlos gemurmelten Flüche … Jakob kennt die Ängste des Mannes nur zu gut. Es sind auch seine ­eigenen … In der Nacht liegt der Freund neben ihm, er starrt in den sternenlosen Himmel und spricht einen Schwur, den Jakob vor vielen Jahren selbst gesprochen hat … Am Morgen ist der Freund verschwunden, nur seine Waffen liegen noch am Feuer. Der Hauptmann flucht wie der Teufel und schickt dem Deserteur einen Suchtrupp hinterher, auch Jakob ist dabei. Als die Männer gegen Mittag kopfschüttelnd zurückkehren, dankt er stillschweigend dem Herrgott. Er wetzt sein Schwert und versucht zu vergessen …
    »Bei Gott, ja«, murmelte Jakob Kuisl nach einer Ewigkeit. »Ich kannte mal einen, der’s versucht hat. Nur der Himmel weiß, was er jetzt treibt. Aber er hat’s wenigstens versucht. Bloß ich damisches Rindvieh, ich bin zurückgekommen aus dem Krieg und häng weiter die Leut auf.«
    Der Henker lachte leise. Dann sog er an der Pfeife, bis das winzige Stück Glut wieder hellrot zu leuchten begann.
    »Drauf geschissen!«, fuhr er schließlich fort und deutete mit dem Pfeifenstiel auf seine zwei Enkel, die mit Barbara vergnügt krähend im flachen Wasser herumtollten. Seine Stimme klang jetzt wieder fest und sicher.
    »Wär ich nicht hier, dann gäb’s euch nicht und die zwei Hosenscheißer auch nicht, nicht wahr? Allein dafür schlag ich gern noch ein paar Köpfe ab.«

Montag, der 14. Juni 1666,
frühmorgens in Erling
    it den ersten Sonnenstrahlen erhob sich Simon stöhnend von seinem piksenden Strohlager im Schinder­haus.
    Noch bis spät in die Nacht hatte er an dem Bericht für den Abt geschrieben. Darin nannte er auch die mögliche Tatwaffe, die er gestern Abend noch am Weiher entdeckt hatte. An einem langen Kescher, der am Steg lehnte, waren winzige Spuren von Blut gewesen, die möglicherweise vom Hinterkopf des toten Novizen stammten. Nur einen Verdächtigen konnte Simon nicht präsentieren, ebenso wenig wie ein Motiv.
    Gern hätte sich der Medicus noch ein wenig ausgeruht, doch Michael Graetz war unter lautem Getöse bereits vor Sonnenaufgang aufgestanden, hatte seinen Gästen ein Frühstück hingestellt und war dann pfeifend und singend zu einem Bauern in der Gegend aufgebrochen. Danach war an Schlaf nicht mehr zu denken, außerdem gingen Simon immer wieder die Ereignisse des gestrigen Tages durch den Kopf. Also setzte er sich an den klapprigen Tisch und löffelte dort gedankenverloren seinen noch dampfenden ­Haferbrei.
    »Kannst du ein wenig leiser schmatzen? Damit weckst du ja Tote auf.« Magdalena rieb sich verschlafen die Augen und starrte Simon wütend an.
    »Nun, wenigstens scheinst du ja auf dem Weg der Bes­serung, wenn du wieder schimpfen kannst.« Simon deutete grinsend auf die zweite Schüssel Brei. »Frühstück gefällig?«
    Magdalena nickte. Sie stand auf und nahm sich von dem Brei. Tatsächlich schien die Henkerstochter wieder genesen, sie aß mit einem Appetit, der Simon an einen hungrigen Wolf erinnerte.
    »Ich werde dem Abt noch heute Morgen meinen Bericht vorlegen«, sagte er und wischte sich über den Mund. »Vorher will ich allerdings bei diesem Uhrmacher Virgilius vorbeischauen. Ich hatte den Eindruck, dass er

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