Der Hexer und die Henkerstochter
mehr über Frater Johannes weiß, als er mir gestern sagen wollte. Er hat da etwas angedeutet.«
»Glaubst du vielleicht, dass Johannes seinen eigenen Lehrling auf dem Gewissen hat?«, fragte Magdalena. Sie nahm sich eine weitere Portion Brei. »Zuzutrauen wär’s der hässlichen Kröte. Jedenfalls hat er Dreck am Stecken, das spür ich.«
»Eigentlich kann uns das alles ja egal sein. Hätte ich dem Abt gegenüber doch bloß mein vorlautes Maul gehalten!« Simon seufzte. »Aber auf einen Besuch mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an. Außerdem würd ich dir gern diesen seltsamen Automaten zeigen.« Er stand vom Tisch auf. »Was ist? Willst du mitkommen?«
»Um meine Rivalin zu bewundern? Warum nicht?« Magdalena lachte. »Pass auf! Wenn ich sie nicht mag, zieh ich ihr ein paar Schrauben, und dein komischer Virgilius kann seine Puppe nur noch als teure Vogelscheuche verwenden.«
Kurze Zeit später spazierten sie gemeinsam durch das Dorf, den Klosterhügel hinauf und zweigten dann rechts zum Haus des Uhrmachers ab. Die Sonne war bereits über den Wäldern aufgegangen und strahlte warm und hell auf das frisch verputzte Steingebäude mit dem kleinen Vorgarten. Simon ging an den Margeriten und dem Klatschmohn vorbei zur Tür. Soeben wollte er anklopfen, als er merkte, dass sie bereits einen Spaltbreit offen stand.
»Frater Virgilius?«, rief er in den Raum hinein. »Seid Ihr da? Ich habe jemanden mitgebracht, den ich Euch gern …«
Er brach ab, weil ihm der Gestank von Schwefel und Schießpulver in die Nase drang. Darüber lag noch ein anderer Geruch, den Simon an einem anderen Ort vielleicht sogar als angenehm empfunden hätte.
Es war der Geruch von gegrilltem Fleisch.
»Was ist?«, fragte Magdalena belustigt. »Hast du den Mönch mit seiner Puppe im Bett erwischt?«
»Offenbar hat der Frater wieder experimentiert«, murmelte Simon. »Wollen hoffen, dass es auch diesmal glimpflich verlaufen ist.«
Als er die Tür weiter öffnen wollte, spürte er mit einem Mal einen Widerstand, als ob etwas Schweres direkt dahinterliegen würde. Ächzend drückte Simon gegen die Tür, und der Gestank wurde stärker. Dicke Rauchschwaden quollen aus dem Spalt. Plötzlich schnellte etwas schlangengleich daraus hervor.
Es war ein blasser, aufgedunsener Arm.
Schreiend sprang Simon zurück, er stolperte und landete mitten im Margeritenbeet auf dem Hosenboden. Auch Magdalena war zurückgewichen. Zitternd deutete sie auf den Arm, der nun in Kniehöhe leblos im Türspalt hing. Seine Finger zeigten wie anklagend auf das erschrockene Paar.
»Da … da … muss jemand hinter der Tür liegen«, stotterte Simon und richtete sich langsam wieder auf.
»Und so wie es ausschaut, ist derjenige mausetot.« Magdalena fasste sich ein Herz und drückte erneut gegen die Tür. Mühsam ließ sie sich öffnen, und durch den schwächer werdenden Rauch erblickten sie ein Bild des Grauens. Das Zimmer sah aus, als hätte ein Dämon darin gewütet.
Direkt vor ihnen lag die Leiche des jungen Gehilfen Vitalis. Sein Kopf war merkwürdig abgewinkelt, so als hätte ihm eine schier unmenschliche Kraft das Genick gebrochen; Hemd und Teile der Hose waren verbrannt, darunter war am Rücken und an den Beinen schwärzliches Fleisch zu sehen. Der Arm des Novizen ragte zur Tür hinaus, wie in einem letzten vergeblichen Versuch, dem Tod zu entrinnen. Sein von Feuer entstelltes Gesicht war eine Fratze der Angst, der Mund weit geöffnet, die weißen Augäpfel nach oben verdreht.
»Mein Gott!«, keuchte Simon. »Was ist hier nur passiert?«
Im Raum selbst waren Tische und Stühle umgeworfen, die wertvolle Pendeluhr lag in mehrere Stücke zerbrochen am Boden, die beiden Hälften der Kupferkugel waren in eine Ecke gerollt. Nur das Krokodil baumelte weiter am Seil von der Decke und starrte mit leblosen Augen auf das Chaos unter sich.
»Wenn dieser Virgilius wirklich mit Schießpulver experimentiert hat, dann ist er samt Ladung in die Luft geflogen und hat sich in Rauch aufgelöst.« Magdalena war mittlerweile in den Raum getreten und sah sich vorsichtig um. »Hier ist er jedenfalls nicht.«
Simon bückte sich, um einen kleinen Puppenkopf aufzuheben, der ihm mit zersplitterter Stirn und eingedrückten Augen vor die Füße gerollt war. Ratlos drehte er den Porzellanschädel zwischen den Händen, als ihm plötzlich etwas auffiel.
Die Frauenpuppe! Wo in aller Welt …
Simon tappte noch eine Weile durch den dämmrigen Raum, aber die Figur schien
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