Der Hexer und die Henkerstochter
durch. Magdalena sah, wie er zitterte. »Du kennst dich erstaunlich gut aus, Badersfrau«, murmelte er. »Fast so, als hättest du so eine Tortur selbst schon einmal erlebt.«
»Das nicht, ich hab nur meinem Vater immer gut zugehört.«
»Deinem Vater?« Zum ersten Mal wirkte Johannes sichtlich verwirrt.
»Er ist der Schongauer Scharfrichter Jakob Kuisl.«
»Jakob Kuisl ?«
Plötzlich ging eine Veränderung in dem Benediktiner vor. Sein Gesicht wurde aschfahl, die Augen weiteten sich, er murmelte leise vor sich hin. Erst nach einiger Zeit hörte Magdalena heraus, dass es Gebete waren.
»O mein Herrgott, ich habe gezweifelt, verzeih mir!«, flehte Johannes. »Ich war ein Narr, ein ungläubiger Thomas! Doch du schicktest mir ein Zeichen, Ehre sei Gott in der Höhe! Das ist ein Wunder! Ja, ein Wunder!«
Er fiel auf die Knie, wiegte den Kopf hin und her und umklammerte das kleine Holzkreuz, das an einer Kette um seinen Hals hing.
»Bei allen Heiligen … was … was habt Ihr?«, fragte Magdalena vorsichtig. Hatten Schmerzen und Angst den Mönch wahnsinnig gemacht? »Was hab ich denn gesagt?«
Endlich hob Frater Johannes seinen Kopf.
»Du … du … bist ein Engel«, begann er feierlich. »Ein Engel, der im Auftrag des Herrn unterwegs ist.«
Er ist wirklich wahnsinnig geworden , durchfuhr es Magdalena. Vielleicht sollte ich nach den Wachen rufen, bevor er über mich herfällt?
Sie lächelte unsicher. »Ein … ein Engel?«
Frater Johannes nickte eifrig. »Ein Engel. Geschickt, um mir die Ankunft Jakobs zu verkünden.« Er sah sie ernst an, plötzlich war jeder Wahnsinn aus seinem Blick verschwunden.
»Bei Gott«, flüsterte er. »Dein Vater ist der Einzige, der mir jetzt noch helfen kann.«
*
Rauchwolken stiegen in den Schongauer Himmel wie die Schemen unruhiger kleiner Geister.
Genau wie gestern saß Jakob Kuisl am Ufer des Katzenweihers und blickte auf das grüne Wasser, in dem man noch vor hundert Jahren Kindsmörderinnen ertränkt hatte. Kuisl mochte diesen einsamen Ort, denn nur selten verirrten sich Menschen hierher. Der Weiher galt als verflucht, zu viele arme Seelen hatten darin den Tod gefunden. Die Schongauer erzählten sich, in Vollmondnächten höre man hier die Toten weinen und schreien. Doch Kuisl hatte noch nie jemanden gehört – im Gegenteil, der Platz am Weiher strahlte eine Stille aus, die der Henker in der nahen Stadt allzu oft vermisste.
Jakob Kuisl brauchte Ruhe. Er überlegte, was er mit den Berchtholdt-Brüdern anstellen sollte. War es ratsam, zum Gerichtsschreiber zu gehen und ihm von den Diebstählen im Stadl zu erzählen? Früher hätte Kuisl keine Sekunde gezögert, doch nun waren da seine zwei Enkel, denen Gefahr drohte. Aber würden die Berch tholdts sich wirklich an unschuldigen Kindern vergreifen?
Sosehr Jakob Kuisl sich auch bemühte, Klarheit zu schaffen, seine Gedanken wanderten immer wieder zurück in die Vergangenheit. Das gestrige Gespräch mit seinem Sohn Georg hatte Erinnerungen wachgerufen, an den Krieg, die vielen Toten, die Schlachten, vor allem aber den einzigen wahren Freund, den er in seinem ganzen Leben bislang gehabt hatte. Gemeinsam waren sie durch Pech und Schwefel gegangen, beim Angriff hatten sie nebeneinander in der ersten Reihe gestanden. Sie waren beinahe gleich alt gewesen, wie Brüder.
Vor allem aber hatte sie ein Schicksal verbunden, das sie von allen anderen Menschen abgrenzte.
Jakob Kuisl starrte auf das Wasser, in dem sich die Weiden am Ufer spiegelten. Der bittere Geschmack von Schießpulver breitete sich plötzlich über seinen Gaumen aus, von fern meinte er Waffenklirren und Geschrei zu hören.
Es war, als blickte er in einen Tunnel, an dessen anderem Ende ein verschwommenes Bild erschien.
Trommeln schlagen, Flöten spielen, es riecht nach Rauch und gebratenem Hammelfleisch. Der achtzehnjährige Jakob wandert von Lagerfeuer zu Lagerfeuer. So weit er auch blickt, sieht er bunte Zelte, daneben die mit fleckigem Leinen bespannten Wagen der Marketenderinnen, die hastig ausgehobenen Schanzgräben und dahinter die Stadt, die sie schon morgen stürmen werden.
Ob er morgen noch leben wird?
Seit fünf Jahren ist Jakob nun mit dem Heer unterwegs. Aus dem einst pickligen Trommlerjungen ist ein breitschultriges Mannsbild geworden, ein gefürchteter Kämpfer, der mit seinem Bihänder immer in der ersten Reihe steht. Der Oberst hat ihm den Meisterbrief vom Langen Schwert ausgestellt, man fürchtet Kuisl, auch weil man weiß, was
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