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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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ihm durch den Kopf. Ewig, nicht aufzuhalten, bis seine Aufgabe erfüllt ist …
    Das Klopfen des Abts brachte Simon wieder zurück in die Wirklichkeit. Maurus Rambeck war aufgestanden und schlug mit der Handfläche mehrere Male zornig auf den Tisch.
    »Ruhe!«, rief er. »Werte Mitbrüder, ich bitte um Ruhe!«
    Erst langsam kehrte wieder Stille ein. Der Abt atmete durch, bevor er schließlich mit brüchiger Stimme weitersprach: »Wir werden in dieser Angelegenheit wohl erst Klarheit haben, wenn … wenn Frater Johannes wieder unter uns weilt. Davon abgesehen sollten wir froh um jeden Hinweis sein.« Er wandte sich an Simon. »Ich werde Euren Bericht sorgfältig lesen. Außerdem würde ich mich freuen, wenn Ihr auch weiterhin zur Klärung des Falles beitragt. Bis jetzt macht Ihr einen äußerst aufgeweckten Eindruck.«
    Prior Jeremias schnappte nach Luft. »Ein ehrloser Bader, der dem Kloster bei einem Mordfall hilft? Lieber Mitbruder, ich bitte dich …«
    »Und ich bitte dich, zu schweigen!«, fuhr Abt Maurus Rambeck dazwischen. »Ehrlos oder nicht – dieser Bader hat bisher mehr vernünftige Gedanken geäußert als wir alle zusammen. Ich wäre dumm, wenn ich seine Hilfe nicht in Anspruch nehmen würde. Er soll seinen Bericht fortschreiben.« Rambeck schien kurz in seine eigenen Gedanken zu versinken, seine Hände zitterten erneut. Nach kurzem Zögern wandte der Abt sich wieder Simon zu. »Ach, und noch etwas, Meister Fronwieser. Mir ist zu Ohren gekommen, dass einige der Pilger krank sind. Jetzt, da unser Apotheker nicht mehr zur Verfügung steht, sollte sich ­jemand anders um sie kümmern …«
    Die Aufforderung schwang in der Luft, und Simon nickte ergeben.
    »Natürlich, Hochwürden. Ganz, wie Ihr wünscht.«
    Na wunderbar! , dachte er. Bis heute früh war ich noch ein kreuzbraver Wallfahrer, und nun darf ich einen Bericht über einen mysteriösen Mordfall schreiben und mich um sieche Pilger kümmern! Warum bin ich bloß mit Magdalena nicht nach Altötting gegangen!
    Der Abt schloss die Augen und schlug ein Kreuzzeichen. »Dann beten wir nun zu Gott, für unsere toten und verschwundenen Brüder.«
    Simon musterte die Mönche, einen nach dem anderen, während Maurus Rambeck zu einem lateinischen Psalm ansetzte. Die Patres hatten die Hände gefaltet, murmelten ihre Gebete und hielten den Blick gesenkt. Es war, als würde von jedem einzelnen von ihnen eine böse Aura ausgehen, die ganz und gar nicht zu der klösterlichen Atmosphäre passen wollte. Plötzlich hob der Prior den Kopf und sah Simon direkt an.
    Der Medicus zuckte zusammen. In den Augen von Pater Jeremias glomm ein hasserfülltes Funkeln, das sich bis in ­Simons Innerstes zu bohren schien.
    Frater Johannes rannte durch den Wald, als wäre der Teufel hinter ihm her.
    Er stolperte über Wurzeln, rappelte sich atemlos wieder auf, sprang über schlammige Gräben und hastete durchs Dickicht. Längst war seine Kutte am Saum zerfetzt, Disteln und Zweige hingen im Stoff, sein Gesicht war verschwitzt und dreckverschmiert. Tränen liefen dem Mönch über die feisten Wangen, und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Außer einem Leinensack mit den wichtigsten Habseligkeiten hatte er nichts retten können.
    Johannes fluchte, schimpfte und schluchzte. Sein altes Leben lag hinter ihm, jetzt würde er wieder wie früher auf Wanderschaft gehen müssen. Er wusste nicht, was ihm die Zukunft brachte, er wusste nur, was passierte, wenn sie ihn erwischten. Sie würden ihm die Finger- und Fußnägel ziehen, ihm die Knochen strecken, bis sie aus den Gelenken brachen, sie würden seine Daumen quetschen und seine runzlige Haut mit Schwefelhölzchen rösten – nur um ihn schließlich auf einem großen Haufen aus Holz und Reisig zu verbrennen.
    Frater Johannes wusste das alles, weil er Folter und Hinrichtungen kannte. Er hatte schon zu viele aus allernächster Nähe miterlebt. Und ihm war klar, was einem Mörder und Hexer drohte.
    Ohne sich umzublicken, rannte der dicke Apotheker durch das Kiental. Mittlerweile war es früher Vormittag, die Sonne stach unbarmherzig durch die Äste und Zweige. Wie die meisten anderen Mönche war Johannes in aller Herrgottsfrühe durch lautes Geschrei und Gejammer geweckt worden. Etwas Furchtbares musste passiert sein, und er hatte eine dunkle Ahnung, was es war. Also hatte er sich heimlich zum Haus des Uhrmachers begeben, aus dem gerade dieser Bader und sein Flittchen traten, beide weiß wie die Wand. Den Gesprächsfetzen konnte er entnehmen,

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