Der Hexer und die Henkerstochter
Berg steht in Flammen. Wenn du mich fragst, das liegt an diesem neuen Abt. Steckt seine Nase einfach zu viel in Bücher, anstatt für unser aller Seelenheil zu beten.«
Während der Fischer weitergackerte wie ein altes Huhn, erreichten sie die Herrschinger Bucht auf der anderen Seite des Sees. Rechts davon befand sich der kleine Ort Wartaweil, von dem aus die Pilger sich auf den anstrengenden Weg Richtung Kloster machten.
Das Wasser war hier merklich ruhiger, auch der Wind wehte nur noch als laues Lüftchen. Jakob Kuisl sah mindestens zwei Dutzend Fischerboote, die an fauligen Molen festgebunden waren, Fischer flickten am Ufer müde ihre Netze. Dahinter ragte zwischen grünen Buchenwäldern der Heilige Berg auf.
»Und wie willst du nun mit den zwei Bälgern zum Kloster hochkommen?«, fragte der alte Mann neugierig. »Der Weg ist ziemlich steil.«
»Lass mich nur machen. Ich hab schon größere Kerle zum Gebet geschleift.«
Der Fischer blickte ihn verwirrt an. »Wie meinst du das?«
»Vergelt’s Gott.« Jakob Kuisl drückte dem Alten ein paar Münzen in die Hand, dann hievte er den jammernden Peter in eine Holzkraxe, die er sich ächzend auf den Rücken schnallte. Den kleinen Paul schnürte er sich mit einem fleckigen Tuch vor den Bauch, von wo aus der Zweijährige neugierig die schaukelnden Boote beobachtete.
»So, jetzt bring ich euch zu eurer Mutter«, brummte der Henker. »Und hör verflucht noch mal auf, mir den Fischkopf in die Haare zu schmieren!« Jakob Kuisl pflück te Peter den stinkenden Kadaver aus den Händen, warf das Stück ins Wasser und stapfte den Steg entlang auf die Anlegestelle von Wartaweil zu.
Schon bald hatte der Henker die wenigen Häuser hinter sich gelassen und betrat den schattigen Wald, der den Klosterberg von allen Seiten umgab. Er hatte sich für einen verlassenen Seitenpfad entschieden, um nicht noch einmal von einem pilgernden Dampfplauderer heimgesucht zu werden. Den Kindern schien der wiegende Schritt ihres Großvaters zu gefallen, sie quiekten vor Vergnügen; immer wieder deutete Peter auf Vögel und Eichhörnchen, die auf Ästen am Wegesrand saßen und neugierig auf das schwankende sechsarmige Ungetüm unter ihnen starrten. Währenddessen gab der dreijährige Bub den Tieren Phantasienamen und sang mit hoher, dünner Stimme ein kleines Liedchen.
»Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, deine Mutter ist im Pommernland …«
»Was bringt dir deine Mutter auch für einen Blödsinn bei!«, schimpfte Kuisl. Trotzdem brummte er schon bald leise mit; der kleine Paul war unterdessen durch das ständige Schaukeln und Singen im Tuch eingeschlafen.
Steil stieg der ausgetretene Pfad nun in die Höhe. Während er ihm schwitzend und keuchend folgte, musste Jakob Kuisl daran denken, wie viele Pilger vor ihm hinauf zum Heiligen Berg gepilgert sein mochten. Es hatte Zeiten gegeben, da waren es allein an Pfingsten über vierzigtausend. Auch jetzt zum Dreihostienfest wurden wieder ganze Heerscharen erwartet. Der Henker konnte sich vorstellen, dass ein im Kloster eingesperrter Hexer das fromme Treiben empfindlich störte. Vermutlich wollte man seinem Freund Nepomuk deshalb schon in den nächsten Tagen den Prozess machen.
Jakob Kuisl beschloss, den Weg abzukürzen, und beschleun igte seine Schritte. Er verließ die schmalen Serpentinen, die sich den Berg hinaufschraubten, und stieg senkrecht empor. Gelegentlich traf er auf alte verwitterte Stufen, moosbewachsene Steine, die aus dem Buchenlaub hervorragten. Doch meistens musste er sich durch kniehohes Dickicht kämpfen. Weiter vorne lagen einige Felsen in einem Rund, fast so wie das Fundament eines Turms. Der Henker legte den Kopf in den schweißverklebten Nacken und versuchte zu erahnen, wie weit es noch bis zum Kloster sein mochte.
»Schau, Großvater, eine Hex. Tust du die verbrennen?« Pet er zeigte nach rechts, wo ein besonders großer, bestimmt acht Schritt hoher Felsen auf einer Lichtung stand. Eine knorrige Linde wuchs darauf, die im Schatten der Bäume tatsächlich aussah wie eine krumm gebeugte alte Frau.
»Schmarren, Bub«, knurrte Kuisl. »Das ist kein Hex, das ist …«
Erst dann erkannte er, was der Junge eigentlich gemeint hatte. Am Fuße des Felsens befand sich der Eingang zu einer Höhle. Ein kleines Feuer schwelte vor der Öffnung, dahinter saß eine alte grauhaarige Frau, die sich jetzt langsam an einem Stock aufrichtete. Sie war barfuß und trug ein schmutziges, löchriges Gewand, das um die Hüfte mit
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