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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Fälle nicht schaden.
    Magdalena wachte auf vom rasselnden Husten eines alten Mannes, der zu ihrer Rechten auf einer einfachen Holzpritsche lag. Der Greis röchelte, dann spuckte er einen grünen Batzen Schleim in die Binsen auf dem Boden.
    Angewidert wandte sich die Henkerstochter ab. Seit gestern Nacht lag sie nun hier in einem Seitentrakt des Klosters – einem aufgelassenen Pferdestall, den der Abt für die Kranken zur Verfügung gestellt hatte. Waren es am frühen Morgen nur eine Handvoll Patienten gewesen, hatte sich ihre Zahl in den letzten Stunden dramatisch erhöht. Magdalena schätzte, dass bestimmt zwei Dutzend stöhnende, schnarchende und jammernde Pilger in dem provisorischen Hospiz untergebracht waren. Sie lagen in flohverseuchten Betten oder auf ein paar Strohballen auf dem Boden, wo sie sich zitternd in dünne Wolldecken hüllten. Das alte feuchte Gemäuer stank nach Mist und menschlichen Exkrementen. Von draußen ertönte der Gesang der Wallfahrer, die dem Kloster zustrebten, um für eine gute Ernte, ein gesundes Kind oder einfach für ein friedliches Jahr ohne Krieg, Hunger und Krankheit zu beten.
    Vorsichtig tastete Magdalena nach dem nach Kräutern duftenden Verband um ihren Hals. Die Wunde war nicht tief gewesen, das seltsame Geschoss hatte sie nur gestreift. Trotzdem hatten sie Erschöpfung und Blutverlust kurzzeitig ohnmächtig werden lassen. Fast noch schwerer wog der Schrecken vor dem Unbekannten, der ihr gestern Nacht an der Klostermauer aufgelauert hatte.
    Der Unbekannte und die seltsame Melodie.
    War es der gleiche Mann gewesen, der sie einen Tag zuvor vom Kirchturm gestoßen hatte?
    »Na, zurück unter den Lebenden?« Simon beugte sich lächelnd über sie und reichte ihr eine Schüssel mit dampfender Hafergrütze. »Mein Mohnsamentrank hat offenbar ganz gut gewirkt. Es ist schon nach Mittag. Mit ein paar Unterbrechungen hast du über sechzehn Stunden geschlafen!«
    »Ich … ich hatte es wohl nötig«, erwiderte Magdalena noch ein wenig benommen. »Dafür bin ich nun aber auch verdammt hungrig.« Mit sichtbarem Appetit fiel sie über die Grütze her. Erst nachdem sie noch den letzten Rest mit dem Finger ausgewischt hatte, lehnte sie sich seufzend zurück.
    »Das war gut«, murmelte sie. »Sehr gut. Fast so gut wie der Brei von meinem Vetter, dem räudigen Schinder.« Plötz lich wurde ihr Gesicht ernst. »Ich sollte froh sein, dass ich überhaupt noch lebe und etwas essen kann«, fügte sie leise hinzu.
    Simon streichelte ihr über die verschwitzte Stirn. »Ich hab dir einen Umschlag mit Hirtentäschel, Zinnkraut und Ringelblumen gemacht«, sagte er fürsorglich. »Die Wunde am Hals sollte gut verheilen. Allerdings hast du gestern Nacht noch eine Menge wirres Zeug geredet. Was ist denn eigentlich passiert?«
    Magdalena seufzte. »Wenn ich das nur wüsste!« Dann erzählte sie Simon von ihren Beobachtungen während der Abendmesse, von der seltsamen Melodie und den Schüssen aus dem Hinterhalt.
    »Es war das Lied dieses Automaten von Frater Virgilius?« Simon sah sie skeptisch an. »Bist du sicher?«
    Magdalena zuckte mit den Schultern. »Auf alle Fälle war es ein Glockenspiel. Und es kam irgendwo aus dem Berg, von … von unten.« Plötzlich schien sie wieder zu frieren. »Glaubst du, dass dieser Automat wirklich seinen Meister und den Lehrling getötet hat und nun irgendwo unter uns nach weiteren Opfern sucht? Dass er ein … Golem ist?«
    »Unsinn«, erwiderte Simon. »Das sind nichts weiter als Schauergeschichten. Gott allein kann Leben erschaffen. Ich vermute eher, dass diese Mönche etwas damit zu tun haben.«
    Magdalena grinste triumphierend. »Dann glaubst du jetzt auch, dass der hässliche Nepomuk unschuldig ist. Ich hab’s doch gleich gesagt!«
    »Du meinst Frater Johannes?« Simon reichte Magdalena einen Krug Wasser, aus dem sie in gierigen Zügen trank. »Wenn er nicht wirklich ein Hexer ist, dann sitzt er nach wie vor in dem alten Käsekeller«, fuhr er nachdenklich fort. »Also kann er auch gestern Nacht nicht auf dich geschossen haben. Vielleicht war es ja nur ein Jäger, der dich für ein versprengtes Wild gehalten hat. Immerhin war es ziemlich dunkel.«
    »Simon, mach dich nicht lächerlich! Schau ich aus wie ein Wildschwein?« Magdalena schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, weil die Wunde wieder zu brennen begann. »Das war kein Jäger, das war dieser Unbekannte! Manchmal glaube ich wirklich, du hältst mich für ein überspanntes Weibsbild.«
    Simon lächelte.

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