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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Sonne. Es war ein Mann mit einem schwarzen Mantel um die breiten Schultern, einem grob geschnitzten Wanderstab in der schwieligen Hand und auf dem Kopf einen Schlapphut, der sein Gesicht verbarg. Der Riese beugte sich hinab und setzte behutsam zwei kleine Buben ab, die nun fröhlich krähend auf Magdalena zustolperten.
    »Schaut so aus, als könnte jetzt endlich auch der Paul laufen«, brummte der Henker. »Wurd auch Zeit. Dachte schon, der würde bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag wie ein Wurm durch unsere Stube kriechen.«
    »Mein Gott, Vater!«, schrie Magdalena und rannte auf ihre Kinder zu, die sie stürmisch umarmten. Erleichtert lachte sie auf. In der ganzen Aufregung hatte sie den Brief, den sie gestern noch per Kurier nach Schongau geschickt hatte, völlig vergessen. Nun, da ihr Vater und ihre Kinder bei ihr waren, fühlte sie, dass alles gut werden würde.
    »Lasst eure Mutter am Leben, Saubande!«, schimpfte ­Jakob Kuisl und hob spielerisch drohend den Finger. »Ihr ­erdrückt sie ja noch. Man mag gar nicht glauben, dass die beiden bis gerade eben an meinem Rockzipfel gehangen sind.«
    »Eine Mutter kann eben auch der beste Großvater nicht ersetzen.« Lächelnd kam Simon auf seinen Schwiegervater zu und reichte ihm die Hand. Als der Henker sie kräftig umfasste, spürte Simon seine Knöchel knacken. Die Kraft des Schongauer Scharfrichters erstaunte ihn immer wieder von neuem.
    »Schön … dass Ihr so schnell gekommen seid, Jakob«, brachte Simon zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Allerdings dachten wir, ohne Kinder wäre es …«
    »Das würd euch so passen«, unterbrach ihn Kuisl unwirsch. »Der kranken Großmutter die beiden Schreihälse lassen und sich selbst ein schönes Leben in der Fremde ­machen. Nichts da, die Magdalena soll sich gefälligst selber um ihre Schrazn kümmern.«
    »Die Mutter ist krank?« Mit den beiden Kindern auf dem Arm näherte sich Magdalena besorgt ihrem Vater. »Aber warum bist du dann …«
    »Soll ich vielleicht meinen Freund im Stich lassen!« Kuisl winkte mürrisch ab. »Außerdem ist es, glaub ich, nichts Ernstes. Nur ein blöder Husten, wie ihn zurzeit viele in Schongau haben. Ich wollt ja bleiben, aber …« Er stockte kurz, dann fuhr er barsch fort: »Deine Mutter ist eben ein stures Weibsbild! Sie hat mich förmlich aus dem Haus geworfen, als sie das vom Nepomuk gehört hat.«
    »Nepomuk? Freund?« Jakob Schreevogl hatte bislang schweigend neben den Kuisls gestanden. Jetzt sah er den Henker verwirrt an. »Ich fürchte, ich verstehe das alles nicht. Und überhaupt, was macht Ihr hier in Andechs, Kuisl? Ist der Scharfrichter etwa auf Wallfahrt gegangen?«
    »Äh … ich fürchte, das ist eine längere Geschichte, werter Ratsherr«, mischte sich Magdalena ein. »Ich erzähl sie Euch ein andermal. Zunächst habe ich eine kleine Bitte an Euch.«
    »Und die wäre?«
    Magdalena deutete auf die röchelnden und jammernden Kranken um sie herum. »Könntet Ihr Euch die nächste Stunde um Simons Patienten kümmern? Die Familie Kuisl hat einiges zu besprechen.«
    Der Patrizier sah sie verdutzt an. »Ich? Aber ich weiß gar nicht, wie …«
    »Im Grunde ist es ganz einfach.« Magdalena drückte Jakob Schreevogl einen Lumpen und einen Eimer frisches Wasser in die Hand. »Wischt ihnen den Schweiß von der Stirn, wechselt gelegentlich die Wadenwickel und seht dabei ernst und belesen aus. Glaubt mir, die meisten Ärzte machen auch nichts anderes.«
    Sie nahm ihre beiden Kinder an der Hand und verließ mit Simon und dem Henker das stinkende Hospiz, während der Patrizier ihr mit offenem Mund hinterherstarrte.
    Gemeinsam stiegen die Kuisls die steile gepflasterte Gasse hinauf zur Klosterkirche, um einen ruhigen Ort zum Reden zu finden. Aber schnell merkten sie, dass das nicht leicht werden würde. Zahllose Besucher der soeben beendeten Mittagsmesse kamen ihnen entgegen. Magdalena fiel auf, dass es seit gestern bedeutend mehr Wallfahrer geworden waren. Bis zum Dreihostienfest waren es noch fünf Tage, doch bereits jetzt tummelten sich auf den Wegen rund um das Kloster so viele Menschen wie sonst nur an Kirchweih.
    Die Wallfahrer schienen von überall her zu kommen. Magdalena hörte viele fremdartige Dialekte, von denen sie nur das Schwäbische und das Fränkische kannte. Sie sah mehrere Pilgergruppen aus einzelnen Dörfern, die fest zusammenblieben. Es gab ärmlich gekleidete Tagelöhner ebenso wie brave Handwerker und feiste Patrizier, die angeekelt und mit gerafften

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