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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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darauf könnt Ihr Euch verlassen.« Kurz glaubte Simon eine winzige Unsicherheit im Blick des alten Mönchs zu erkennen, dann hatte Benedikt sich wieder unter Kontrolle. »Seit Hunderten von Jahren werden die Heiligen Drei Hostien in einer versiegelten Monstranz dem Volk genau an diesem Tag gezeigt«, murmelte er. »Sie haben Brand, Überfälle und den Großen Krieg überstanden, und sie werden auch diese verfluchte Hexerei überstehen. Keiner kann sie rauben, geschweige denn wegzaubern.« Er richtete sich auf, und seine Augen begannen zu leuchten, als würde er einen uralten Zauberspruch sprechen. »Drei Schlüssel versperren den Eingang zur Heiltumskapelle. Nur der Abt, der Prior und ein Wittelsbacher können gemeinsam die Kammer öffnen. Die Hostien ruhen dort also wohl verwahrt. Keine Sorge, niemand wird die ehrwürdige Zeremonie stören.«
    Simon zuckte zusammen. Noch einmal musste er daran denken, was Magdalena ihm von ihrem Kirchenbesuch erzählt hatte.
    Der Wittelsbacher verwahrt den dritten Schlüssel …
    Hatte Magdalena nicht beobachtet, dass der Abt während der Messe mächtig beunruhigt gewesen war? Danach war er gemeinsam mit dem Prior und dem Grafen Wartenberg oben in der Heiltumskammer verschwunden. Gab es vielleicht wirklich eine Verbindung zwischen den Morden und den Hei ­ligen Drei Hostien?
    »Ich fürchte, Ihr werdet Eure medizinischen Studien morgen weiter betreiben müssen«, unterbrach der Bibliothekar Simons Gedanken. »Ich schließe jetzt die Räume hier. Wenn Ihr mich fragt, Ihr solltet Euch ohnehin lieber um die kranken Pilger kümmern und diesen Satan von Apotheker dem Weilheimer Landrichter überlassen.« Er schlurfte zur Tür hinüber. »Bruder Maurus hätte den Richter schon längst rufen sollen. Gerede hin oder her, aber es darf nicht sein, dass wir weiter einen Hexer in unseren ehrwürdigen Räumen beherbergen. Die Angelegenheit muss so schnell als möglich aus der Welt.«
    »Was die Hexerei angeht …«, warf Simon ein. »Bruder Eckhart sprach in diesem Zusammenhang von einem Golem. Ihr habt nicht zufällig ein Buch darüber?«
    Mitten im Gehen blieb der Bibliothekar ganz plötzlich stehen und drehte sich zu Simon um. »Habe ich nicht gerade gesagt, Ihr sollt Euch eher um die Kranken kümmern?«, knurrte er. »Aber da Ihr schon fragt – ja, es gibt ein solches Buch.«
    »Äh, dürfte ich es zufällig einsehen?«
    Pater Benedikt lächelte schmal. »Das ist leider nicht möglich. Der Abt persönlich hat sich das Buch ausgeliehen.«
    Simon versuchte sich nichts anmerken zu lassen, trotzdem zuckte er leicht zusammen.
    Das jüdisch geschriebene Buch auf dem Tisch des Abts! , fuhr es ihm durch den Kopf. Es ist ein Buch über die Beschwörung von Golems!
    »Ihr habt recht«, seufzte Simon schließlich und erhob sich mit einem Achselzucken. »Ich sollte mich um meine Patienten kümmern.« Er entschied, dem Bibliothekar nichts über seine merkwürdige Entdeckung an der Leiche des Novizen zu erzählen. Irgendetwas sagte Simon, dass er dem alten Mann nicht vertrauen durfte. Im Grunde durfte er niemandem hier vertrauen. »Die Sache gehört vor ein Inquisitionsgericht«, gestand er reumütig ein. »Ich habe mich schon viel zu lange damit aufgehalten. Trotzdem vielen Dank für Eure Erläuterungen.«
    Ohne dass Pater Benedikt es bemerkte, schob er schnell die Andechser Chronik unter seinen Rock und begab sich zum Ausgang. Die Worte des Bibliothekars hatten in ihm das Bedürfnis geweckt, mehr über die Vergangenheit des Klosters zu erfahren. Entschlossen ballte Simon die Hände zu Fäusten, während er leicht dümmlich lächelte und dem Mönch nach draußen folgte. Es war eine Unart von ihm, dass er vor allem dann neugierig wurde, wenn man ihm das Neugierig­sein verbot.
    Welches Geheimnis ist hinter diesen Mauern verborgen? Oder unter ihnen?
    Mit steifem Rücken stieg Simon vorsichtig die Treppe hinunter, die ganze Zeit misstrauisch beäugt von Pater ­Benedikt. Erst draußen im Freien wagte er wieder auszu­atmen. Mit klopfendem Herzen zog der Medicus die Chronik hervor und wischte über den ledernen, von seinem eigenen Schweiß feuchten Einband. Dann zog sich ein Grinsen über sein Gesicht.
    Wenigstens würde er heute Nacht noch einiges zu lesen haben.
    Nachdem Magdalena die Kinder zu Bett gebracht hatte, saß sie müde von den Anstrengungen des Tages in der Stube des Schinderhauses und rührte gedankenverloren in einem Becher mit dampfendem Gewürzwein. Fast eine Stunde lang hatte sie

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