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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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wusste selbst nicht genau, warum er gerade zu diesem Werk gegriffen hatte. Die Seiten waren in einem altertümlichen, leicht pathetischen Latein geschrieben, so dass der Medicus eine Weile brauchte, bis er hineinfand. Doch sein abgebrochenes Studium an der Ingolstädter Universität hatte wenigstens dafür gesorgt, dass er das Buch nach einiger Zeit halbwegs fließend lesen konnte.
    Merkwürdigerweise begann die Chronik nicht wie erwartet mit der Gründung des Klosters, sondern weit davor. Simon erfuhr, dass auf dem Heiligen Berg zunächst eine Burg der Grafen von Andechs gestanden hatte, die jedoch von ihren Konkurrenten, den Wittelsbachern, zerstört worden war. Offenbar waren die Andechser Grafen einst ein mächtiges Geschlecht gewesen, das über weite Teile Bayerns und sogar über Teile des südlichen Tirols geherrscht hatte. Doch irgendwann hatten die Wittelsbacher die Vormacht über Bayern erlangt.
    Die Chronik sprach in diesem Zusammenhang von » schnödem feigen Verrat «, ging aber zunächst nicht weiter darauf ein. Unwillkürlich musste Simon an den Grafen von Wartenberg denken, mit dem die beiden Semers gestern in der Taverne gesessen hatten. Auch Wartenberg war ein Wittels­bacher, und hatte dieser fette Cellerar nicht erzählt, der Graf besäße den dritten Schlüssel? Was für einen gottverfluchten Schlüssel? Simon seufzte. Je mehr er sich in die Angelegenheit vertiefte, umso komplizierter wurde alles.
    Ein schabendes Geräusch ließ ihn aufschrecken. Die hohe Tür hatte sich geöffnet, und herein trat mit gekrümmtem Rücken der alte Bibliothekar. Als Bruder Benedikt ­Simon erblickte, schien der Mönch einen Moment lang ­verunsichert, dann hatte er zu seiner alten Arroganz zurückgefunden.
    »Was habt Ihr hier verloren?«, schnarrte er. »Die Bibliothek ist allein den Mönchen vorbehalten.«
    »Ich weiß«, erwiderte Simon bedauernd. »Aber der Abt hat mir erlaubt, in der Bibliothek meinen Bericht über die merkwürdigen Todesfälle zu verfassen. Er meinte, hier fände ich vielleicht einen Anhaltspunkt. Schließlich habt Ihr eine hervorragende Sammlung medizinischer Werke.« Das war dreist gelogen, aber der Medicus hatte das Gefühl, dass Maurus Rambeck gerade andere Sorgen hatte, als eine Notlüge zu berichtigen.
    Tatsächlich schien der Bibliothekar sich mit Simons Ausrede abzufinden. »Die medizinischen Kenntnisse der Benediktiner sind in der Tat unerreicht«, sagte der Mönch stolz. »Sie gehen zurück auf das uralte Wissen der Babylonier, Ägypter und Griechen. Wir waren es, die die Kunde der Gifte und Heilpflanzen, die Vielzahl der Anwendungen und Diagnosen über all die Jahrhunderte bewahrt ­haben. Sicher habt Ihr bereits die ›Naturalis historia‹ von Plinius Secundus dem Älteren entdeckt?«
    »Äh, ich gebe zu, dass ich noch nicht …«
    »Ach, sieh an. Soweit ich weiß, ist die Andechser Chronik aber kein medizinisches Werk.« Bruder Benedikt hatte sich in der Zwischenzeit genähert und musterte argwöhnisch das Buch, in dem Simon soeben noch geblättert hatte.
    Der Medicus lächelte so freundlich, als wollte er damit Eis schmelzen. »Verzeiht, aber mich hat einfach die Neugierde geritten. Schließlich habe ich nicht oft Gelegenheit, ein so ehrwürdiges Gemäuer zu betreten. Wie alt ist dieses Kloster noch mal?«
    »Gut zweihundert Jahre«, erwiderte Benedikt grimmig. »Augustinerchorherren haben es gegründet, aber schon bald haben wir Benediktiner hier das Sagen gehabt.«
    »In der Tat? Ich hätte vermutet, das Gebäude ist weitaus älter. Die vielen Keller, diese verwitterten Mauern …«
    »Es gab hier einmal eine Burg und eine Kapelle«, gestand der Bibliothekar. »In dem Kirchlein wurde einst der Heil­tumsschatz mit den Heiligen Drei Hostien verwahrt. Aber davon steht schon lange nichts mehr.«
    »Und wo sind die Heiligen Drei Hostien jetzt?«, fragte ­Simon neugierig. »Schließlich sollen sie ja schon in ein paar Tagen Tausenden von Pilgern gezeigt werden.«
    Pater Benedikt musterte ihn weiter argwöhnisch. »Na, wo schon? Gut verwahrt in der Heiligen Kapelle natürlich. Und dort bleiben sie auch bis Sonntag. Dann erst werden sie vom Erker der Kirche aus den Wallfahrern gezeigt.«
    »Ist es nicht merkwürdig, dass diese zwei schrecklichen Morde und all diese anderen merkwürdigen Vorkommnisse just vor dem Dreihostienfest geschehen sind?«, sagte Simon leise. »Fast sieht es so aus, als will irgendjemand, dass dieses Fest nicht zustande kommt.«
    »Das Fest kommt zustande,

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