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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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verdutzt an. »Den Vorraum? Wieso denn das?«
    »Das wirst du gleich merken.«
    Mittlerweile standen sie in der kleinen Kammer vor der Heiligen Kapelle. Gedämpftes Sonnenlicht fiel durch das einzige, verschlossene Fenster an der Nordwand, die Luft roch abgestanden und modrig. Im Gegensatz zu Kuisls letztem Besuch waren an der mit Eisen verstärkten Tür zur Kapelle die schweren Holzbalken-Riegel diesmal vorgelegt. Sie zogen sich in Kopf-, Bauch- und Kniehöhe quer darüber und waren jeweils mit einem großen Schloss versperrt.
    Simon deutete auf die drei Wappen, die auf der Tür prangten. »Das weiß-blaue Wittelsbacher Wappen, Adler und Löwe für Andechs und der heilige Nikolaus für den Prior als Verwahrer des dritten Schlüssels«, erklärte er. »So steht es auch in der Chronik. Es ist mir allerdings ein Rätsel, wie man aus einer solchen Kammer etwas stehlen kann. Gibt es drin denn Fenster?«
    Jakob Kuisl nickte. »Drei Stück, aber die sind allesamt mit Eisenstreben vergittert.«
    »Wie um Himmels willen soll man aus einem solchen Raum eine mehrere Pfund schwere Monstranz mit drei Hostien entwenden?«, fragte Simon ungläubig. »Die Schlösser waren unberührt, sagt Ihr. Und sowohl Abt wie auch Prior behaupten, dass sie ihre Schlüssel nicht aus den Augen gelassen haben. Für den Grafen gilt wohl dasselbe. War vielleicht wirklich Hexerei im Spiel?«
    »Schmarren!«, raunzte der Henker. »Hexerei ist eine Erfindung des Teufels, mit der er uns die Augen verkleben will. Das hier ist Menschenwerk.«
    »Dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten«, erwiderte Simon. »Entweder jemand hat es irgendwie geschafft, alle drei Schlüssel für eine Nacht an sich zu nehmen, oder der Täter ist einer der drei Schlüsselträger. Dann musste er sich nur zwei weitere Schlüssel besorgen, um hier einzudringen.«
    »Vielleicht war es ja ganz anders.« Aufmerksam sah sich der Henker in dem fast leeren Vorraum um. Überall hingen Votivbilder mit wundersamen Errettungen, links unterhalb des Fensters stand eine einzelne eiserne Truhe. Jakob Kuisl bückte sich und öffnete sie.
    »Leer«, murmelte er nachdenklich. »Vermutlich werden mi t dieser Truhe von Zeit zu Zeit ein paar der Reliquien weggeschafft.«
    Simon nickte. »Ich habe davon gelesen. Allein während des letzten Großen Krieges sind die drei heiligen Hostien mehrmals nach München transportiert worden, weil man mit einem Raubzug der Schweden rechnete. Jedes Mal hat man sie dann wieder zurückgebracht.«
    »Und jetzt sind sie ganz verschwunden.« Der Henker klappte die Truhe zu. »Aber ich glaub, ich weiß nun, wer sie hat.«
    »Wie bitte?« Simon blieb kurz der Mund vor Staunen offen stehen. »Ihr wisst, wer sie hat?«
    Jakob Kuisl grinste seinen Schwiegersohn an. »Du etwa nicht? Wenn du eins und eins zusammenzählst, ist die Sache doch so klar wie Weiberpisse. Simon, Simon …« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, was man euch an diesen Universitäten beibringt. Das Denken jedenfalls nicht.«
    Simon rollte mit den Augen. Es war nicht das erste Mal, dass ihn sein Schwiegervater aufzog, weil er als Medicus zwar studiert hatte, der Henker aber über das größere Wissen verfügte. Offensichtlich konnte es Jakob Kuisl nicht verwinden, dass seinem ehrlosen Stand der Zugang zur Universität verwehrt war.
    »Seid Ihr dann wenigstens so gütig und weiht mich in Eure Kenntnisse ein?«, fragte Simon mit spöttischem Unterton. »Oder muss ich dumm sterben?«
    »Eine Sache muss ich noch nachprüfen«, erwiderte der Henker barsch. »Schließlich wollen wir herausfinden, ob unser Hostiendieb auch für die Morde verantwortlich ist. Solange wirst du dich noch gedulden müssen.« Er wandte sich zur Treppe. »Und jetzt raus hier, bevor dieser fette Cellerar noch auf den Gedanken kommt, hier oben die ­Votivbilder abzustauben. Wenn uns wer auf der Empore sieht, war ich einfach beim Beten, und du hast mich hände­ringend wegen eines Patienten gesucht. Schließlich bereitet dir ja nicht nur das Denken, sondern offenbar auch das Heilen Schwierigkeiten.«
    Jakob Kuisl stapfte treppab, und obwohl er Simon den Rücken zukehrte, glaubte der Medicus zu wissen, dass ein selbstzufriedenes Grinsen auf Kuisls Gesicht lag. Leise schimpfend folgte Simon ihm. Es gab Tage, an denen er seinen Schwiegervater am liebsten eigenhändig auf die Streckbank gespannt hätte.
    Es sollte weitaus länger dauern als erhofft, bis Simon von Jakob Kuisl endlich Aufklärung

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