Der Highlander und der wilde Engel
Französischen und Spanischen bewandert bin und auch rechnen kann.“
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und nahm ein altes, abgegriffenes Buch von der Truhe, das er bis dahin nicht bemerkt hatte. „Leider jedoch“, gab sie leise seufzend zu, „hat sich mein wacher Verstand bei meines Vaters Suche nach einem Gemahl als weiterer Schandfleck entpuppt. Mir wurde nahegelegt, meine Bildung für mich zu behalten.“
Obgleich er wusste, dass es stimmte, was sie sagte, konnte Kade ob dieses törichten Gebarens nur den Kopf schütteln. Er jedenfalls hätte sich glücklich geschätzt, eine geistvolle Gemahlin an der Seite zu haben. Auch seine Mutter hatte als Mädchen Unterricht erhalten, und dies hatte sich als durchaus vorteilhaft erwiesen, als sie sich gezwungen sah, seinem Vater die Verwaltung von Stewart aus den Händen zu nehmen. Der Mann sprach dem Whisky allzu gierig zu und war oftmals zu betrunken, um die Burg führen zu können. Seine Mutter hatte die Aufgabe klaglos übernommen und dafür Sorge getragen, dass auch seine Schwester Merry unterrichtet wurde. Kade hegte wahrlich keine Vorurteile gegen gebildete Frauen.
Er ließ den Gedanken fahren, als Averill zu lesen begann. Bald erkannte er, dass sie diese Geschichte schon unzählige Male gelesen haben musste und fast auswendig kannte. Das überraschte ihn nicht. Die von Mönchen kopierten Bücher waren ein teures Gut, und obgleich Mortagne ein wohlhabendes Anwesen zu sein schien, bezweifelte er, dass es selbst hier eine große Auswahl an derlei Werken gab.
Er lehnte sich entspannt zurück und ließ sich von ihrer Stimme einlullen. Ein Teil seines Geistes genoss es, Averill zu lauschen, die Gestalten und Geschehen Leben einhauchte, während der andere Teil darüber nachsann, welch ein Wunder es doch war, dass er sicher und bequem in einem weichen Bett lag und zudem gesättigt und mit dem süßen Klang einer weiblichen Stimme im Ohr, nachdem er so lange sein Dasein als Gefangener in einem fernen Land gefristet hatte, mit leerem Bauch, nichts als dem harten
Steinboden als Lager und kaum noch Hoffnung darauf, sich je wieder an etwas anderem erfreuen zu dürfen.
Daran könnte er sich gewöhnen, dachte er, und lächelte in sich hinein.
„Hier, schlüpft hinein.“
Averill war gerade mit Waschen fertig und legte das nasse Tuch in die Schüssel, die Bess ihr gebracht hatte. Sie wandte sich um und wollte der Magd gerade das Gewand abnehmen, das diese ihr reichte, hielt jedoch inne und zuckte zurück, als sie sah, welches diese gewählt hatte. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Nein!“, hauchte sie.
Bess verzog mitfühlend das Gesicht, nickte aber. „Doch, Euer Vater hat angewiesen, dass Ihr Euer bestes Kleid anlegen sollt.“
Sie schloss die Augen, denn sie wusste, was das hieß. Er ließ sie ihr bestes Kleid nur dann anlegen, wenn sie wieder einmal einem Heiratskandidaten vorgeführt werden sollte. Das dunkelrote Gewand, das Bess ihr hinhielt, war in der Tat ihr neuestes und elegantestes. Zudem war es auch das Gewand, das wiederholt Zeuge ihrer Demütigung durch die sie schmähenden Werber geworden war. Offenbar hatte ihr Vater sich entschieden, wem er als Nächstes die Hand seiner Tochter anbieten wolle, und der Betreffende wurde an diesem Tag erwartet.
Das sollte sie eigentlich nicht allzu sehr überraschen. Früher oder später hatte es ja so kommen müssen, und schließlich war schon mehr als eine Woche vergangen, seit der letzte Kandidat sie auf solch hartherzige Weise zurückgestoßen hatte. Das war an jenem Tag gewesen, an dem Kade aus seinem langen Schlaf erwacht war.
Trotz aller Beklommenheit lächelte Averill unwillkürlich, als sie an ihres Bruders Freund dachte. Sie hatte den Großteil der vergangenen Woche in seinem Gemach verbracht; hatte ihm vorgelesen, sich mit ihm unterhalten, ihm nach dem zweiten Tag geholfen, zu einem der Sessel am Kamin zu gehen, damit er nicht immerzu liegen musste, und ihn des Abends zurück zum Bett geleitet.
Verglichen mit seinem Zustand beim ersten Erwachen, hatte Kade sich hervorragend gemacht. Er sah nicht mehr so blass und hager aus und sprach sogar schon davon, Will bald auf dem Kampfplatz Gesellschaft zu leisten. Das Einzige, das sich noch immer nicht gebessert hatte, war seine Sehkraft. Zwar bekümmerte Averill dies um seinetwillen, doch sie selbst war recht erleichtert darüber, denn sie blickte dem Augenblick, an dem er sie würde erkennen können, keineswegs freudig entgegen. Bislang war sie
Weitere Kostenlose Bücher