Der Highlander und der wilde Engel
Frau, nach denen sie sich seit zwei Wochen verzehrten und von der sie immerzu träumten, sich letztlich doch gegen den Bräutigam entschieden hatte und gerade dabei war, an einem aus ihren Kleidern gewundenen Seil aus dem Fenster ihres Gemachs zu klettern und das Weite zu suchen. Nicht dass Averill sich diese Mühe hätte machen müssen, dachte er missmutig. Sie könnte einfach durch die Geheimgänge entschlüpfen, wie sie es im Alter von fünf Jahren getan hatte.
Seine Miene verfinsterte sich, und erneut starrte er die Treppe an, doch von Averill war keine Spur zu sehen. „Deine Ungeduld würde sie überraschen, bedenkt man,
dass du in den letzten zwei Wochen nicht einmal mit ihr gesprochen hast“, meinte Will trocken.
Wieder brummte er nur und begann, mit seinem Becher zu spielen. Er würde dem Bruder seiner Braut bestimmt nicht sagen, dass er sie in Wahrheit nur gemieden hatte, um zu gewährleisten, dass sie als Jungfrau zum Altar schritt. Vermutlich würde Will ihn niederschlagen, wenn er erführe, welch anstößige Bilder Kade vor dem inneren Auge hatte seit jener Nacht, in der Averill ihn in seiner Kammer aufgesucht hatte. Sich von ihr fernzuhalten und in seiner Verzweiflung auf dem Übungsgrund auf Will einzudreschen, war ihm als der beste Weg erschienen. Zudem hatte ihm die Bewegung gutgetan. Er war wieder der Alte, seine Kleider umschlotterten nicht länger seinen Körper, und er war fast wieder so kräftig wie früher. Wenngleich die Gewandung, die er nun ausfüllte, nicht seine eigene war. Nach dem Untergang des Schiffs war er mit nichts als dem Hemd aus dem Wasser gezogen worden, das er im Kloster in Akkon erhalten hatte. Seit Kade das erste Mal entschieden hatte, dass es an der Zeit sei, das Bett zu verlassen, hatte er daher geliehene Sachen getragen - Wills Sachen, um genau zu sein.
Er warf einen Blick auf die dunkelgrüne Tunika und das Beinkleid, das ihm sein Freund vermacht hatte. Zwar stand ihm beides ausgezeichnet, doch freute er sich jetzt schon darauf, wieder einen Plaid auf seinen Schultern zu spüren. Das wiederum brachte ihn in seinen Überlegungen auf seine Männer und die Frage, warum sie noch immer nicht erschienen waren. Er hatte erwartet, dass sie rechtzeitig zur Hochzeit zurück sein würden. Allein aus diesem Grunde hatte er sich bereit erklärt, zwei Wochen statt nur einer zu warten, wie er es sich eigentlich gewünscht hätte. Will war ein guter Freund, doch hätte er an diesem Tag gern seine eigene Sippe an der Seite gehabt.
„Da kommt sie!“
Bei diesen Worten Wills fuhr Kade herum und riss die Augen auf, als er Averill die Treppe herabschreiten sah. Sie trug ein dunkelgrünes Gewand, das farblich zu seiner eigenen Kleidung passte, ihr offenes Haar umfloss ihr Haupt in feurigen Wellen, ihre Wangen waren gerötet, und für ihn war sie in diesem Moment der Inbegriff von Schönheit.
Er erhob sich und wollte ihr entgegeneilen, doch plötzlich stand Lord Mortagne vor ihm und wies ihn mit einer Geste an, sich wieder zu setzen, während er selbst an ihre Seite trat. Kade zögerte und war versucht, sich dem Mann zu widersetzen, doch schließlich war er ihr Vater. Widerstrebend ließ er sich zurück auf die Bank sinken. Nach der Hochzeit wäre sie sein, und dann konnte ihn niemand mehr von ihr fernhalten. Bis dahin wollte er sich fügen.
„So kommt denn“, forderte der Priester sie auf, der an Wills anderer Seite gesessen hatte, und erhob sich. „Begeben wir uns zur Kapelle. Lord Mortagne soll die Braut geleiten.“
Kade blickte finster und wollte erneut aufbegehren, setzte sich jedoch in Bewegung, als Will ihn anstieß. Immerhin war Averill erschienen. Also wollte sie ihn heiraten. Das musste fürs Erste genügen.
Die meisten Burgbewohner warteten bereits vor der Kapelle, als der Geistliche, gefolgt von Kade und Will, den Burghof querte. Der alte Mann schob Kade und Will mehrmals hierhin und dorthin, bis sie da standen, wo er sie haben wollte. Danach wandten sie sich alle erwartungsvoll dem Wohnturm zu. Zu Kades Erleichterung hatten Lord Mortagne und Averill den Hof schon halb hinter sich gebracht, doch als sie näher kamen, sah er, dass sie auf ihrer Unterlippe kaute und die Hände ineinandergekrampft hatte. Das, so wusste er, war kein gutes Zeichen.
„Sie wirkt besorgt“, fiel auch Will auf.
„Aye“, knurrte Kade.
„Und sie kommt ein wenig allzu rasch daher“, bemerkte Will. „Vater scheint kaum mithalten zu können.“
Kade brummte nur. Das hatte er ebenfalls
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