Der Highlander und der wilde Engel
beruhigen. „Es war kein schöner Anblick, kann ich Euch sagen“, fuhr er daraufhin fort. „Ich habe mich für ihn geschämt. Er weinte und jammerte und stolperte immerzu über irgendetwas. Schließlich ist er auf seinen Allerwertesten geplumpst, saß einfach nur schluchzend da und murmelte vor sich hin, wer denn nun die Burg führen solle, da Merry fort sei.“
Bess schnalzte angewidert, und auch Averill seufzte enttäuscht. Es fiel ihr wahrhaft schwer, Gefallen an diesem Mann zu finden, und dabei hatte sie ihn noch nicht einmal getroffen.
Kopfschüttelnd schritt sie zur Tür und streckte die Hand aus. „Meine Heilkräuter bitte, Bess.“
Die Magd reichte ihr den Beutel beinahe widerwillig, und als Averill den Inhalt durchstöberte, fragte sie beklommen: „Seid Ihr sicher, dass Ihr das tun wollt, Mylady?“
„Aye“, erwiderte sie bestimmt.
„Aber ...“
Da sie fürchtete, Bess könne etwas sagen, was Laddie ihren Plan verriet, hob sie die Hand und gebot ihr Schweigen, ehe sie sich zu dem Kleinen umwandte. „Laddie, wärest du so gut, mir ein wenig Met oder Apfelmost von unten zu holen?“
„Aye, M-melady“, stieß er eifrig hervor, und Averill sah lächelnd zu, wie er davonstob, um zu tun, worum sie ihn gebeten hatte. Was für ein niedliches Kerlchen.
„Mylady, um noch einmal auf Euren Plan zu kommen . setzte Bess sorgenvoll an, sobald der Junge aus der Tür war.
Averill seufzte und wandte sich ihrer Magd zu.
„Mein Vorhaben ist nur vernünftig, Bess“, beteuerte sie entschieden. „Nichts verleidet einem eine Angewohnheit so sehr wie unerquickliche Folgen. Wenn sich Laird Stewart und seine Söhne jedes Mal nach dem Zechen abscheulich fühlen, werden sie damit aufhören. Das entspricht nur dem gesunden Menschenverstand.“
„Aye, doch was, wenn ihnen aufgeht, dass Ihr ihnen etwas untermischt?“, fragte Bess unbehaglich.
„Sie werden es nicht erfahren“, beschwichtigte Averill sie. „Die erste Dosis erhalten sie gleich jetzt, solange sie ohnmächtig sind. Wir werden es ihnen zwischen die Lippen träufeln, so wie wir Kade damals Brühe eingeflößt haben, als er besinnungslos war. “
„Viel habt Ihr nicht in ihn hineinbekommen, und gewiss wird Euch das auch bei diesen Männern nicht gelingen“, murmelte Bess düster.
Averill legte die Stirn in Falten, als sie erkannte, dass dies stimmte. Womöglich sollte sie die Tinktur lieber nicht in Met verdünnen, sondern sie ihnen pur einträufeln. Aye, entschied sie, so musste es gehen.
„Komm“, sagte sie und ging Bess voraus aus der Kammer.
„Wohin gehen wir?“, fragte die Magd leise, während sie den Gang entlanghasteten.
„Zu Kades Vater und Brüdern“, erwiderte sie. „Ihnen das Mittel verabreichen. “
„Ich dachte, dazu bräuchten wir Met?“, fragte Bess verdattert.
„Nein, es wird leichter sein, wenn wir ihnen nur ein paar Tropfen der Tinktur einflößen“, erklärte sie. „Und wenn wir uns eilen, ist es getan, ehe Laddie zurückkehrt. “
„Ach du liebe Güte“, murmelte Bess.
Vor der Tür, hinter der, wie sie vorhin mitbekommen hatte, die Kammer von Kades Vater lag, hielt sie an und drehte sich zur Magd um. „Wir hätten uns ein Tischbein oder dergleichen aus dem Trümmerhaufen in Merrys Gemach greifen sollen“, raunte sie.
„Und wozu um alles in der Welt?“, fragte Bess bestürzt.
„Falls einer von ihnen aufwacht, solange wir noch nicht fertig sind“, erklärte sie, seufzte und wandte sich wieder der Tür zu. „Da bleibt wohl nur zu hoffen, dass sich für diesen Fall dort drinnen etwas findet.“
„Ach du liebe Güte“, seufzte die Magd erneut, während Averill die Tür öffnete.
„Bei allen Heiligen, wie hält er es hier nur aus?“, flüsterte sie, als sie den Blick durch Laird Stewarts Kammer schweifen ließ. Zwar brannte weder Kerze noch Feuer, doch da es erst Mittag war, fiel genügend Sonnenlicht durch die offenen Fensterläden, um preiszugeben, wie es um das Gemach und dessen Bewohner stand. Was, wie sie dachte, nur gut war, um ihr einen Eindruck zu vermitteln. Die Kammer war in einem ebenso bedauernswerten Zustand wie die große Halle: Der Fußboden war mit unachtsam abgestreiften Kleidern, Essenresten, zerborstenen Möbeln und herabgerissenen Wandbehängen übersät. Überdies roch es, als sei hier jemand gestorben.
Sie verzog das Gesicht und warf einen Blick über die Schulter zu Bess, nur um festzustellen, dass diese nicht mehr da war. Stirnrunzelnd trat sie hinaus auf den Gang, wo sie
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