Der Highlander und der wilde Engel
auf der Reise schließlich, weil es einfach keine Abgeschiedenheit gegeben hatte und er die Röcke seiner Gemahlin nicht vor aller Augen hatte heben wollen. Also hatte er sich während des gesamten Ritts zusammengerissen und mit dem Gedanken getröstet, dass er seine Frau würde haben können, wenn sie erst einmal auf Stewart waren und eine Kammer für sich hatten. Dass es hier möglicherweise kein einziges bewohnbares Gemach geben würde, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen.
„Ja, tut das“, erwiderte er. „Aber nehmt den Jungen mit, und falls es Ärger geben sollte, so ruft nach mir, und ich werde sofort erscheinen.“
Er wartete, bis Averill zustimmend nickte, drückte ihr noch einen Kuss auf die Lippen und wandte sich ab, um seinen Weg zur Tafel fortzusetzen.
9. Kapitel
Dies ist Lady Merrys Gemach“, verkündete Laddie,
während er die Tür auf stieß und Averill eintreten ließ.
Jäh blieb sie stehen. Es war die vierte Kammer, die er ihr zeigte, und alle waren, bis auf ein paar Spinnweben und etwas Staub, ganz passabel gewesen. Laird Stewart und dessen Söhne schienen sie nie auch nur betreten zu haben. Für dieses Gemach hier galt das nicht.
„Es ist r-recht u-unordentlich“, sprach Laddie das Offensichtliche aus und schnitt eine Grimasse. Er folgte Averill, die noch ein paar Schritte in den Raum tat.
„Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du dich in meiner Nähe nicht unbehaglich zu fühlen brauchst“, sagte sie leise, weil er erneut gestottert hatte.
Laddie wurde rot und wandte den Blick ab. „I-ich habe b-befürchtet, Ihr k-könntet böse sein, w-wenn Ihr d-dies seht.“
„Nein, ich bin nicht böse“, versicherte sie ihm. „Doch selbst wenn, wäre ich ganz gewiss nicht auf dich böse.“
Der Knabe nickte, entspannte sich ein wenig und brachte gar ein verhaltenes Lächeln zustande.
Sie erwiderte es, ehe sie die Kammer in Augenschein nahm. Zwar waren die Binsen auf dem Boden nicht frisch, jedoch auch nicht verschmutzt wie die in der Halle. Wie in den übrigen Gemächern wirkten sie unbesudelt und schlicht alt. Sie vermutete, dass sie nicht mehr gewechselt worden waren, seit Merry gegangen war. Dies war etwas, das getan werden musste, wenngleich es nicht so dringlich war wie die Instandsetzung der großen Halle. Abgesehen von der Streu ähnelte die Kammer allerdings tatsächlich mehr der Halle als den übrigen Räumen. Es sah aus, als habe hier jemand seine Wut ausgelassen. Vor dem Kamin stand noch ein unversehrter massiver Eichenstuhl, doch das Tischchen, das einst daneben gestanden haben musste, war nur noch ein Trümmerhaufen. Das Bett stand zwar noch in einem Stück da, doch waren sämtliche Decken heruntergerissen und in eine Ecke geschleudert worden, und der Missetäter hatte es gar fertiggebracht, einen der Fensterläden abzubrechen. Von diesem Laden fehlte jede Spur, und der verbliebene hing schief und wurde nur noch von einem Scharnier gehalten.
Ein Laut ließ sie zur Tür herumfahren, wo sie Bess erblickte. Die Magd hielt den Beutel mit den Heilmitteln in der Hand, schien ihn jedoch im Augenblick vergessen zu haben. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen betrachtete sie das Maß der Zerstörung.
„Was für ein Durcheinander“, murmelte sie kopfschüttelnd.
„Aye“, pflichtete Laddie ihr unglücklich bei. „Das war der Laird“, erklärte er.
„Was?“, fragten Averill und Bess wie aus einem Munde. Beide starrten den Jungen an.
Der nickte ernst. „Er kommt oft hierher. Für gewöhnlich kann er kaum gerade gehen und taumelt in alles hinein. Auf diese Weise lassen er und seine Söhne so einiges auf der Burg zu Bruch gehen, doch der Laird ist der Einzige, der diese Kammer hier betritt“, bekräftigte er und verzog das Gesicht. „Und dann weint er.“
Averill straffte sich. Diese Mitteilung stimmte sie hoffnungsvoll. Ein Vater, der seine Tochter so sehr vermisste, dass ihm die Tränen kamen, konnte kein allzu schlechter Mensch sein, dachte sie und fragte sich unwillkürlich, ob ihr eigener Vater sie Wohl auch vermisste. Ein wenig bestimmt, nahm sie an, glaubte jedoch nicht, dass er deswegen weinte. Zumindest hoffte sie das, und einen Herzschlag lang quälte sie der Gedanke, dass er es doch tun mochte, ehe Laddie
anfügte: „Ich habe ihn gehört.“ Sein ernster Ton ließ darauf schließen, dass er argwöhnte, sie könnten ihm nicht glauben. Averill nickte bedächtig, um ihm zu versichern, dass sie es ihm durchaus abnahm. Das schien ihn zu
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