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Der Himmel auf Erden

Der Himmel auf Erden

Titel: Der Himmel auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Das schwarze Loch am Ende des Tunnels, dachte Winter wieder. Derselbe verdammte Gedanke.
    Hier stimmte etwas nicht. »Was hat der Onkel gesagt, als er dich gehauen hat?«
    »Er hat gesagt, dass ich böse war«, antwortete Maja.
    »Das war aber dumm von ihm«, sagte Winter.
    Sie nickte ernst.
    Er dachte an den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge. Etwas bei Maja entglitt jetzt. Eine Lüge, auch wenn er es war, der sie dorthin geführt hatte. Hatte der Onkel sie geschlagen? Welcher Onkel? Wenn Kinder etwas nicht erzählen, was sie wissen, dann kann das viele Gründe haben. Wenn sie lügen, kann das auch viele Gründe haben. In den meisten Fällen fühlen sie sich bedroht, dachte er, während Maja ihren Tunnel füllte und einen neuen begann. Kinder haben Angst, sie möchten Bestrafung vermeiden. Manchmal wollen sie jemanden schützen, von dem sie abhängig sind. Es geschieht auch, dass die Traumatisierung zu dem Unvermögen führt, zwischen Wirklichkeit, Phantasie und Traum zu unterscheiden.
    »Hat der Onkel dich mehrmals geschlagen?«, fragte Winter.
    Sie antwortete nicht. Die Kreidebewegungen hatten in einem halbfertigen Tunnel aufgehört. Winter wiederholte seine Frage.
    Sie hob ihre Hand, langsam. Winter sah, dass sich drei Finger zur Decke reckten.
    »Hat er dich dreimal geschlagen?«, fragte Winter.
    Sie nickte, jetzt unendlich ernst, sah ihn an. Er hörte ein tiefes Luftholen hinter sich, drehte sich um und sah Kristina Bergort, die es nicht mehr in ihrem Versteck hinter der angelehnten Küchentür ausgehalten hatte.
    *
    Zurück im Auto sprach er mit Bertil, der im Präsidium saß und die Verhöre durchging, die alle in verschiedene Richtungen strebten, oder vielleicht auch in dieselbe.
    »Hier ist es sehr ruhig«, sagte Ringmar. »Man hört seine eigenen Schritte im Treppenhaus.«
    »Ist Aneta schon wieder da?«
    »Nein.«
    »Ob ihr klar ist, dass sie warten muss, bis ich komme?«
    »Aneta ist es bestimmt genauso wichtig, mit dir zu reden wie dir, Erik.«
    Er fuhr durch das Näsetrondellen. Ein Auto vor ihm hatte einen Tannenbaum auf dem Dachständer. Es sah fast verzweifelt aus, Verzweiflungskauf im letzten Moment.
    »Ich glaube, Bergort schlägt seine Tochter«, sagte Winter.
    »Wollen wir ihn vorladen?«, fragte Ringmar sofort.
    »Ich weiß es nicht, Bertil.«
    »Wie wahrscheinlich ist es?«
    »Ich bin eigentlich ganz sicher. Das Mädchen hat zwischen den Worten sehr deutlich erzählt. Durch Körpersprache.«
    »Was sagt die Mutter?«
    »Sie weiß es. Oder sie hat zumindest einen Verdacht.«
    »Hat aber nichts gesagt?«
    »Du weißt, wie das ist, Bertil.« Es wurde still.
    Himmel, dachte Winter. »So habe ich es nicht gemeint, Bertil.«
    »Okay, okay.«
    »Ich hab versucht, mit ihr zu sprechen, aber sie scheint auch Angst zu haben. Oder sie will ihn schützen. Oder beides.«
    »Für die Tatzeit scheint er ja wasserdichte Alibis zu haben«, sagte Ringmar.
    Sie hatten alle Eltern dieses Falles so weit überprüft, wie es ging. Das Problem mit Bergort war seine relativ flexible Arbeitszeit.
    Onkel, Onkel, dachte Winter. Sollte sie ihren Papa Onkel nennen? Eine schreckliche Vorstellung. War Magnus Himmler Bergort, wie Halders ihn genannt hatte, war er noch etwas anderes als Kindesmisshandler?
    »Bestell ihn aufs Präsidium«, sagte Winter.
    »Okay.«
    »Ich fahr jetzt zu den Waggoners«, sagte Winter. Er drückte auf Aus und bog auf die Schnellstraße ein, die an das andere Ende von Änggården führte. Hier kommt der Weihnachtsmann, dachte er. Gibt es hier brave Kinder?
    Der Verkehr war dichter als er gedacht hatte. Normalerweise würde er jetzt bei einer guten Tasse Kaffee und einem ordentlichen Butterbrot mit frisch gegrilltem Weihnachtsschinken sitzen, jedenfalls war es in den letzten drei Jahren so gewesen. Den essen wir doch nie auf, sagte Angela immer. Wir essen doch kaum was. Auf diese erste Scheibe kommt es an, sagte er, die erste Scheibe nach dem Grillen.
    Kein Weihnachtsschinken in diesem Jahr, kein Tannenbaum, jedenfalls nicht jetzt. Er sah noch mehr Verzweifelte mit Tannenbäumen auf dem Dachständer, ein eigentümlicher Anblick für Leute zum Beispiel aus Andalusien, die zum ersten Mal hier waren. Das ist Schweden: Nimm deine Tanne und fahre. Wohin? Warum? Porqué? Plötzlich sehnte er sich unerhört nach Stille, nach ein wenig Essen, ein wenig Schnaps, einem Zigarillo, Musik, seiner Frau, seinem Kind, seinem… Leben, dem anderen. Er sah Majas Gesicht, das Foto von Micke zu Hause bei Bengt

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