Der Himmel auf Erden
Ausnahme, und typisch, in diesem Moment brach die Hölle los. Die Straßenbahn da vorn lief Amok und preschte bei Rot über die Kreuzung. Sie war wie ein hartes Aufprallkissen für die Personenwagen, die aus allen Himmelsrichtungen in die Bahn krachten.
»Saatans perkellä«, sagte sein Kollege Johan Minnonen, der neben ihm saß, ein gebürtiger Finne. Er sagte selten etwas auf Finnisch. Alinder rief sofort nach Verstärkung. Es sah böse aus. Die Autos hatten sich an den Wänden der Straßenbahn hochgeschoben und waren wieder heruntergerutscht. Dafür brauchte man gar nicht besonders schnell zu fahren. Er hörte jemanden schreien. Er hörte einen Motor, der nicht Ruhe geben wollte, obwohl er in Todeszuckungen zitterte. Er hörte die Sirenen. Er sah die Lichter. Wieder schrie jemand, eine Frau. Da kam ein Krankenwagen. Der musste ganz in der Nähe gewesen sein, als er anrief. Da kam das Unfallkommando. Da kam noch eins und ein Streifenwagen, dessen Licht blinkend auf dem Dach kreiselte und ganz Västra Götaland erhellte.
*
Niemand war umgekommen. Es gab einen gebrochenen Arm und Verstauchungen, Brandwunden von Airbags, die sich entfaltet hatten. Ein Besoffener, der neben der Fahrerkabine gestanden hatte, war mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geflogen, ohne dass sie kaputtgegangen war. Nur die Stirn des Besoffenen war übel zugerichtet, aber es hätte schlimmer für ihn ausgehen können.
Der kann sein Leben bald wieder genießen, hatte Alinder gedacht, als der Betrunkene zum Krankenwagen getragen wurde.
Alinder war als Erster im Wagen gewesen, nachdem er den Fahrer wieder so weit zu sich gebracht hatte, dass er die Türen öffnen konnte. Alinder hatte sich umgesehen: der blutende Mann ganz vorn, eine Frau, laut schluchzend, einige Kinder, die sich auf einem Sitz neben einem Mann zusammendrängten, der immer noch die Arme wie zum Schutz gegen den Aufprall um sie geschlungen hatte, der schon vorbei war. Zwei junge Männer auf den Sitzen dahinter. Einer war schwarz, der andere war weiß und blass in den verschiedenen Lichtern, die hier im Wagen aufeinander prallten. Der Schwarze könnte auch blass sein.
Der Fahrer hatte still dagesessen und geradeaus gestarrt in die Richtung, in die er hätte weiterfahren sollen, wenn er seinen Job ordentlich gemacht und die Signale befolgt hätte. Es stank nach Schnaps, aber das mochte von dem Mann kommen, der auf dem Boden gelegen und die Tür zur Fahrerkabine versperrt hatte. Klar war er das, der hatte wie ein richtiger Säufer ausgesehen. Aber auch der Fahrer könnte gebechert haben. So was kam vor.
Langsam hatte der Fahrer ihm das Gesicht zugewandt. Er hatte ruhig und unverletzt gewirkt und seine Aktentasche auf seinen Schoß gehoben. Etwas Besonderes war Alinder nicht aufgefallen in der Fahrerkabine. Wie sah es dort normalerweise aus? Er hatte keine Ahnung.
An einem Haken hinter dem Fahrer hatte etwas an einer Schnur gehangen. Alinder hatte ein Spielzeugtier erkannt, einen kleinen grünen Vogel, der sich nicht sehr gegen die Wand dort drinnen abhob. Hatte wie ein Maskottchen ausgesehen.
Der Fahrer hatte sich ein wenig auf dem Stuhl gedreht, die linke Hand gehoben und das Ding vom Haken genommen und in die Aktentasche gesteckt. Aha. Maskottchen. Wir brauchen alle ein wenig Gesellschaft, dachte Alinder, vielleicht auch Schutz. Ein Talisman für Abergläubische. Aber diesem Mann hatte das Federvieh nicht geholfen.
Die Straßenbahn war halb voll gewesen. Als er sich umdrehte, fingen die Leute an auszusteigen. Die Kollegen, die sie aufhalten sollten, waren noch nicht angekommen.
»Ich möchte Sie bitten, hier in der Bahn zu warten, bis wir die Situation geklärt haben«, hatte er zu den Fahrgästen gesagt. Zwei junge Männer, das Gesicht voller Piercing, hatten sich umgedreht und waren dann aber trotzdem weiter zur Tür gegangen. Ich kann sie nicht zurückhalten, hatte Alinder gedacht, kann sie nicht aufhalten, keine Zeit. Den Schwarzen und den weißen Jungen sah er nicht mehr.
*
Der Fahrer saß vor ihm. Er befand sich in einer Art Schockzustand, der aber nicht so schwer war, dass er nichts hätte sagen können, jetzt, da die Befragung begonnen hatte.
Jedenfalls war er nüchtern. Er war blond und um die vierzig, seine Augen hatten eine durchsichtige Schärfe von der Art, dass Alinder fast Lust hatte, sich umzudrehen und nachzusehen, worauf der Mann geradewegs durch seinen Kopf schaute.
Seine Uniform war schlecht geschnitten und saß nicht richtig, ungefähr wie
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