Der Himmel auf Erden
ganz schön lange Zeit«, sagte sie.
»Für mich auch.«
»Für dich war es ja nur ein Platz zum Übernachten.« Sie lächelte. »Aber du bist ja selten über Nacht geblieben.«
»Ich vermisse die Aussicht«, sagte er.
»Aber dieses Lokal gab es damals noch nicht.« Sie sah sich in dem Restaurant um.
Das Bistro 1965 war neu, sie waren zum zweiten Mal hier, und sie sollten noch oft wiederkommen. Vielleicht waren sie die ersten Stammgäste.
Angelas in Koriander gebratene Pilgermuscheln wurden mit Kürbispüree aufgetragen. Es ist ja kürzlich erst Halloween gewesen, hatte sie beim Bestellen gedacht. Winter bekam sein leicht geräuchertes Zanderfilet mit Auberginen und Vanilleöl.
»Lecker«, sagte sie. »Mhm.«
»Müssen wir ein schlechtes Gewissen haben, weil Elsa nicht mitkommen durfte?«, fragte sie und trank einen Schluck vom Wasser.
»Wir können ja die Speisekarte mitnehmen und sie ihr morgen Abend vorlesen«, antwortete er.
»Ich muss sie erst mal selber lesen«, sagte sie und studierte die gastronomische Wörterliste, die hinter dem Tagesmenü klemmte.
»Weißt du zum Beispiel, was Escalavida ist?«
»Das ist ein Püree aus Paprika, Zwiebeln, Aubergine und Zitrone, unter anderem.«
»Das hast du heimlich schon vorher gelesen.«
»Natürlich nicht.« Er nahm einen Schluck und lächelte.
»Und was ist Gremolata?«
»Das ist zu leicht.«
Sie sah auf. »Nun übertreib nicht!«
»Du musst mich schon richtig herausfordern.«
»Confit?«
»Zu leicht.«
»Vierge?«
»Vierge?«
»Ja, Vierge.«
Er schielte zu der Speisekarte auf seinem Schoß. »Das steht hier nicht.«
»Ha! Hab ich doch gewusst, du schummelst.«
Draußen fuhr ein Auto vorbei. Der Abend war klarer geworden. Über dem Haus, in dem Angela früher gewohnt hatte, waren Sterne am Himmel.
Als er sie dort das erste Mal besucht hatte, war er in Uniform gewesen, obwohl er keinen Dienst hatte. Bist du verrückt?, hatte sie gesagt. Die Nachbarn werden glauben, ich sei kriminell.
Ich hab nicht dran gedacht, hatte er geantwortet.
Wie kann man an so was nicht denken?, hatte sie gefragt.
»Warum lächelst du?«, hörte sie ihn fragen.
»Das erste Mal.« Sie nickte zu dem Haus, dessen Putz im Licht der Straßenlaternen glänzte. Von der Kungsgatan kam ein Auto herauf. »Du warst in Uniform.«
Sie unterhielten sich weiter, wurden ruhig. Man bekommt doch immer wieder das Gefühl, ganz privat zu sein, wenn man in einem Lokal mit vielen Fremden um sich herum sitzt, dachte Winter. Es ist irgendwie paradox.
Er trank von seinem Wein, einen Fiefs de Lagrange, den er zu seinem gegrillten Lammrücken mit Gremolata, Ragout von Limabohnen und Artischocken und diesem Vierge bestellt hatte, an den er nicht gedacht hatte, als er ihn bestellte: eine leichte Soße aus Jungfrauenöl, Tomaten, Lammfond, Knoblauch und Krautern. Er hatte von Angelas Rotweinrisotto gekostet.
Die Kellnerin wechselte die Kerze. Jetzt waren weniger Menschen im Lokal. Winters Handy in der Innentasche seines Sakkos klingelte.
Elsa, dachte Angela.
»Ja?«, meldete sich Winter.
»Hier ist Bertil. Entschuldige, wenn ich störe.«
16
Winter sah den Jungen durch die offene Tür. Er schlief. Oder besser gesagt, er war in barmherzigen Tiefschlaf versetzt worden. Angela stand neben Winter. Sie hatten ein Taxi direkt vom Bistro genommen. Diesmal will ich dabei sein, hatte sie gesagt. Du sollst nicht immer alles allein machen müssen. Außerdem ist es mein Arbeitsplatz, sogar meine Abteilung. Und Elsa schläft.
»Er hätte erfrieren können«, sagte Ringmar, der an der anderen Seite des Bettes stand.
»Oder noch was anderes«, antwortete Winter. Er hatte die Berichte gelesen, das Bisschen, was man bisher wusste. Der Bericht eines Arztes vom Krankenhaus, der Bericht der Gerichtsmedizinerin Pia Fröberg.
»Wann wurde die Polizei informiert?«, fragte Winter.
»Nicht lange, nachdem er verschwunden war«, antwortete Ringmar.
»Wann war das? Wann ist er verschwunden?«
»Nach vier.« Ringmar las in seinen Notizen. »Ungefähr viertel nach vier. Aber das ist eine unsichere Angabe.«
»Stammt die vom Personal des Kindergartens?«
»Ja.«
»Was ist passiert? Was haben sie mit ihm gemacht?«
»Tja… das weiß niemand genau.«
»Er ist also allein herumgestromert?«
Ringmar antwortete nicht.
»Hat er das getan?«
»Ich weiß es nicht, Erik. Ich hab sie noch nicht verhö…«
»Okay, okay. Wer ein Kind kidnappen will, schafft es auch so.«
Angela zuckte zusammen. Neben dem
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