Der Himmel auf Erden
Jahren keine Wunschliste mehr geschrieben. Oder seit sieben.«
»Nun wohne ich zufällig zu Hause, und da ist eine Wunschliste ein Muss«, sagte die Tochter und zog sich den zweiten Stiefel über die Ferse.
»Du weißt sowieso, was ganz zuoberst auf der Liste steht«, sagte er.
Sie schaute auf. »Denkst du, das ist mir nicht klar?«
»Mhm.«
»Glaubst du, ich habe es nicht probiert? Denkst du, ich hab nicht mit ihm geredet?«
»Was sagt er denn?«
Sie antwortete nicht und richtete sich auf.
»Wann hast du zuletzt mit ihm gesprochen?«
»Das ist schon eine Weile her.«
»Was soll das heißen?«
Sie öffnete die Haustür. »Wann redest du das nächste Mal mit ihm?«, fragte Ringmar. »Himmel, Moa, das ist ja verrückt.«
»Hab noch etwas Geduld, Papa.«
»Wie lange zum Teufel soll ich denn noch Geduld haben?«
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Jemand aus Frölunda will dich sprechen«, sagte Möllerström, als Winter vorbeiging. Der Registrator fuchtelte mit dem Telefonhörer.
»Ich nehm's bei mir an«, antwortete Winter. Er hob den Hörer auf seinem Schreibtisch ab, ohne seinen Mantel auszuziehen. »Winter.«
»Hallo, hier ist Larissa Serimowa vom Revier Frölunda.«
Eine neue Stimme für ihn. »Hallo.«
»Ich habe Ihre Anfrage im Blatt des Kriminalnachrichtendienstes gelesen.«
»Aha.«
»Und natürlich auch im Internet. Ich hab hier tatsächlich was Ähnliches.«
»Schießen Sie los.«
»Bei mir ist der Anruf einer Mutter eingegangen, die erzählte, dass ihre kleine Tochter einem Fremden begegnet ist.«
»Woher wusste sie das?«
»Der Mädchen hat es ihr erzählt.«
»Was erzählt?«
»Was ich eben gesagt habe. Eine kurze… Begegnung.«
»Verletzungen?«
»Nein…«
»Ich höre Zweifel in Ihrer Stimme.«
»Es ist so kompliziert. Vielleicht. Ich hab einen Verdacht. Falls das Mädchen verletzt ist. Aber das braucht nicht mit der anderen Sache zusammenzuhängen.«
»Nein.«
»Oder auch doch.« Winter hörte Papier rascheln. »Übrigens vermisst das Mädchen einen Ball. Sagt die Mutter. So was verlieren Kinder ja ständig, aber sie sagt, er verschwand am selben Tag.«
»Wo sind Sie jetzt?«
»Im Revier.« Winter sah auf die Uhr.
»Ich bin in einer halben Stunde da.«
*
Das Frölundarevier war nicht klein, wirkte aber winzig durch das Möbelkaufhaus nebenan. Der Parkplatz vor dem Kaufhaus war besetzt. Autos mit Sofas und Sesseln auf dem Dachständer fuhren davon. Offene Anhänger transportierten Betten und Bettgestelle, die lebensgefährlich in alle Richtungen ragten, sodass ein unaufmerksamer entgegenkommender Fahrer leicht an ihnen hängen bleiben konnte. Ein Glück jedenfalls, dass es nicht regnet, dachte Winter. Ein nasses Bett ist kein Spaß. In diesem Jahr stehen wohl neue Einrichtungen auf den Wunschlisten der Leute. Das kann man sich leisten, wenn die Konjunktur anzieht.
Larissa Serimowa wartete auf ihn hinter der Glasscheibe des Empfangs.
»Ich bin mit ins Krankenhaus gefahren«, sagte sie. »Die Mutter war sehr besorgt, der Vater war auch dabei.«
»Die Familie heißt also Bergort?«
»Ja, das Mädchen heißt Maja.«
»Was hat der Arzt gesagt?«
»Er hat jedenfalls keine Verletzungen am Unterleib gefunden. Aber er hat etwas anderes gefunden.«
»Ja?«
»Maja hatte einige Blutergüsse am Körper.«
»Ist sie misshandelt worden?«
»Er wusste es nicht.«
»Wie sah es aus?«
»Blutergüsse eben, blaue Flecken. Nicht groß.«
»Er muss doch eine Meinung dazu gehabt haben?«
»Die Mutter hat gesagt, Maja ist von einer Schaukel gegen das Gestänge gefallen. So ist es passiert, meinte sie. Maja hat geschrien, sagte sie. Und der Arzt sagte, es könnte so gewesen sein.«
»Oder?«
Sie schaute in die Abschrift der Notizen, die sie hatte ausdrucken lassen. Ordnung, dachte Winter, vielleicht wird sie eine unendliche Bedeutung bekommen.
»Es sei gar nicht ungewöhnlich, sagte er, dass Eltern, die ihre Kinder schlagen, es als Unfall anzeigen. Oder Geschichten erfinden, die die Verletzungen belegen sollen, manchmal geradezu phantastische Sachen. Da spielte er vielleicht auf die Sache mit dem Fremden an.«
»Aber er wollte keine Anzeige erstatten?«
»Nein, keineswegs.«
»Und Sie selber?«
Sie sah ihn an, als ob sie die Frage jeden Moment erwartet hatte.
»Mir hat es keine Ruhe gelassen. Ich bin wieder hingefahren und hab die Mutter und das Mädchen besucht.«
Winter wartete. Sie hatten den Empfang noch nicht verlassen. Er trug immer noch seinen Mantel. Ihm war kurz durch den Kopf gegangen,
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