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Der Himmel ist kein Ort

Der Himmel ist kein Ort

Titel: Der Himmel ist kein Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Wellershoff
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Immer weiter davonlief, mit geschlossenen Augen, damit sich alles in der Dunkelheit auflöste.
    So vielleicht wäre es ihm ergangen, der er diese Szene erfand aus dem wenigen, was Karbe gesagt und Rainer ihm erzählt hatte:
     Karbe, der nicht ins Wasser watete, als er sich nach dem ersten Schock aufgerafft hatte, und immer noch gelähmt vor Schwäche
     oder vielleicht in richtiger Einschätzung der Schwierigkeiten gar nicht erst versuchte, die Insassen aus dem versunkenen Auto
     zu befreien, sondern den glitschigen, regennassen Abhang hochkletterte, um ein vorbeikommendes Auto anzuhalten und die Leute
     um Hilfe zu bitten, und der immer noch dort wartete, als das erste Auto vorbeigefahren war, festgehalten von einem Gefühl
     der Vergeblichkeit, ein winkender Mann am Straßenrand, der ein zweites, ein drittes Mal seine Arme hochriss, wenn Scheinwerfer
     sich näherten. Kein einziges Mal blickte er sich um. Oder wenn er es tat, dann mit der starren Ungläubigkeit, die seine Gedanken
     in Bann schlug und sein Sprechen im ersten Moment lähmte, als unerwartet ein Auto neben ihm hielt, dessen Fahrer die Scheibe
     herunterließ und einen verwirrten, durchnässten, mit Lehm beschmutzten Menschen sah, der ihn eher durch seine Erscheinung
     als durch seine gestammelten Worte davon überzeugte, dass ein Unglück geschehen war. Glücklicherweise hatte der Fahrer ein
     Mobiltelefon und rief die Polizei an.
    War es so? War es anders?
    Etwas fehlte, so genau auch alles vor ihm stand. Es war vielleicht gerade die Genauigkeit der Einzelheiten, |138| die etwas Wesentliches verdeckte. Er erinnerte sich an den sperrigen, wie ein Stück Holz sich anfühlenden Mann, den er an
     der Unfallstelle angetroffen und in seine Obhut genommen hatte, und an das Beben, das er in ihm spürte, als der Wagen aus
     dem Wasser gezogen wurde. In diesem Augenblick glaubte er, dass Karbe beim Anblick der Ertrunkenen geschüttelt wurde von der
     Einsicht in die Schwere seiner Schuld. Was er da sah, die beiden wehrlosen Leiber, die in die Rettungswagen getragen wurden,
     war die Folge seiner rasenden Zerstörungswut, auch dann, wenn er nicht an ein solches Ende gedacht und es schon gar nicht
     geplant hatte.
    Vielleicht aber war er schon oft heimgesucht worden von dem Gedanken, der Tod könnte für sie alle eine Befreiung sein. Der
     Gedanke war aus der Angst entstanden, von seiner Frau mitsamt dem Kind verlassen zu werden. Er wusste, dass er das nicht ertragen
     könnte, wie er vielleicht auch wusste, dass er selbst alles dazu tat, dieses gefürchtete Ende herbeizuzwingen. Immer mochte
     er auch gedacht haben, ein endgültiges Ende wäre das Beste.
    Möglicherweise war dieser Gedanke an ein befreiendes Ende erneut in Karbe entstanden, als er seine Frau und sein Kind bei
     seiner Rückkehr von dem Schulfest nicht zu Hause angetroffen hatte. Sie waren fort. Sie hatten keine Nachricht hinterlassen.
     Der Schrecken aller Schrecken schien eingetreten zu sein, als stumme und endgültige Antwort auf einen Streit, der ungeschlichtet
     abgebrochen worden war, weil er wieder in die Schule musste. Er konnte nicht erkennen |139| , ob sie irgendetwas mitgenommen hatten, denn er war sofort aufgebrochen, um sie zu suchen. Er konnte sich denken, wo er sie
     finden würde.
    Als er sie eingesammelt hatte und sie nun zu dritt, als wären sie wieder vereint, in kaum unterdrückter Spannung nach Hause
     fuhren, mochte der Gedanke an ein endgültiges Ende der Demütigungen und Quälereien sich in Karbes Bewusstsein ausgebreitet
     haben. Es war noch immer kein Vorhaben. Doch Möglichkeit und Wirklichkeit waren wohl noch nie so dicht beieinander, als er
     plötzlich in dem blassen Licht seiner Scheinwerfer sah, dass die Straße nach links schwenkte. Es bedurfte nur einer kleinen
     Drehung des Lenkrades in die Gegenrichtung, damit ihnen die schwarze Wasserfläche entgegenschnellte. Dann allerdings war er
     draußen. Herausgeschleudert oder herausgesprungen oder beides zugleich in einer Sekunde blinder Selbsterhaltung. Immerhin
     musste er den Gurt gelöst und vielleicht auch die Tür aufgestoßen haben, schneller als er denken konnte.
    Nein, es war kein geplantes Verbrechen. Denn unter den gegebenen Umständen war der Ablauf des Geschehens nicht vorausberechenbar
     und in seiner tatsächlichen fatalen Konsequenz sogar ziemlich unwahrscheinlich. Aber es wäre besser gewesen, wenn Karbe sich
     nicht gerettet und sich anders verhalten hätte. Er hätte auf jeden Fall versuchen

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