Der Himmel so fern
Schwangerschaftsabbruch sehr starke Gefühle auslösen kann. Sogar eine Depression.« Sie sah ihn forschend an. »Sie waren verheiratet und kinderlos. Entschuldigen Sie meine Frage, doch haben Sie eine Ahnung, warum sie das Kind hat abtreiben lassen?«
»Ich wusste doch nicht einmal, dass sie schwanger war …«
»Nein, ich weiß …« Die Frau richtete sich auf und hielt sich wieder an ihrem Kaffeebecher fest. Doch bevor sie ihn an den Mund führte, ließ sie ihn wieder los. »Nicht dass es unsere Ermittlungen betrifft«, erklärte sie und sah ihm in die Augen. »Aber wollten Sie denn Kinder?«
Mikael sah sie lange eindringlich an. »Nein. Rebecka wollte keine. Was ich wollte, spielte keine so große Rolle.«
Die Kommissarin nickte und schwieg. »Könnte es sein«, sagte sie schließlich, »dass Rebecka wusste, dass Sie einen Kinderwunsch hatten und dass sie deshalb die Abtreibung heimlich vornehmen ließ?«
»Keine Ahnung … Woher soll ich das wissen?« Mikael betrachtete seine Hände. Er hatte sie ineinander verflochten, und sein Ehering funkelte nur noch wie ein goldener Splitter zwischen seinen Fingern.
Die Frau zuckte mit den Schultern, offenbar bereute sie ihre direkte Frage. »Ich dachte nur, dass …« Sie hielt inne, dann unternahm sie einen neuen Anlauf. »Immerhin war sie ja schwanger. Wenn sie keine Kinder haben wollte, dann war sie gezwungen, die Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt unterbrechen zu lassen. Ich kann mir vorstellen, dass das ein schwerwiegender Konflikt für sie war. Doch das ist natürlich kein Gegenstand einer polizeilichen Untersuchung.« Sie machte eine Pause. »Alles okay?«
Mikael gab keine Antwort. Stattdessen begann er, die auf dem Tisch ausgebreiteten Papiere wieder einzusammeln. Dann erhob er sich. »Ich verstehe es immer noch nicht«, sagte er leise.
Die Kommissarin erhob sich auch. »Es tut mir wirklich sehr leid, was passiert ist«, sagte sie ernst. »Sollten Sie noch weitere Fragen haben, können Sie sich jederzeit gern bei uns melden.« Sie schaute ihm ins Gesicht, und ihre Falten wirkten nun noch tiefer als zuvor. »Aber an und für sich gibt es jetzt nichts mehr, was wir für Sie tun können. Der Rest liegt bei Ihnen.«
Zum allerersten Mal hatte ich richtig Angst um Mikael. Der Schock über meinen Tod, meinen Selbstmord, war groß gewesen, doch auf irgendeine Art war er damit zurechtgekommen. Er trauerte, er weinte, er ließ sich von seiner Mutter umsorgen, und die Tage vergingen, und langsam legte sich der barmherzige Schleier der Zeit zwischen ihn und das Unglück. Doch das jetzt war etwas anderes. Er kollabierte nicht, und er schrie nicht, er wurde nur plötzlich ganz fahl. Es schien, als sei sein Körper völlig blutleer, und mehrere Tage verließ er nicht einmal sein Zimmer. Birgitta war verzweifelt, und ich bekam mit, wie sie Telefonate mit Therapeuten, Psychologen und Notrufsprechstunden führte. Als sie ihm vorschlug, eine dieser Stellen aufzusuchen, lehnte er ab. Er brauche keine Hilfe, sagte er. Er brauche nur seine Ruhe. Wie ein unseliger Geist schlich seine Mutter durch die Wohnung und vor seiner verschlossenen Tür auf und ab. Auch sein Vater kam und versuchte, mit ihm zu reden, doch ohne Erfolg. Mikael wollte einfach in Frieden gelassen werden, mehr sagte er nicht.
Ich war beeindruckt, wie sie das aushielt, dass sie trotzdem blieb und ihn zum Essen zwang. Er wollte zwar nicht, aß dann aber doch widerwillig den einen oder anderen Happen.
Das Treffen auf dem Kommissariat hatte mich ebenso geschockt wie Mikael. Ich hatte im Leben nicht damit gerechnet, dass die Sache herauskommen würde. Hatten Ärzte denn keine Schweigepflicht, waren Krankenakten nicht geheim? Er erzählte seiner Mutter nicht, was er erfahren hatte, und was in ihm vorging, behielt er für sich. Es war unmöglich, ihn zu erreichen. Seine Gedanken waren für mich ebenso verschlossen wie für alle anderen. Ich selbst dachte über viel mehr nach, als mir lieb war, während ich vergeblich versuchte, mit ihm zu kommunizieren. Ich hatte meine Entscheidungen getroffen, viele davon waren falsch gewesen, so auch die Schwangerschaft. Dass Mikael jetzt damit konfrontiert wurde, hatte ich unter allen Umständen vermeiden wollen.
Erst nach Tagen gelang es mir, Kontakt zu ihm herzustellen, und in manchen Momenten konnte ich ihn mit glücklichen Bildern von uns ablenken. Aber sobald ich damit aufhörte, kam ihm wieder das Gespräch mit der Kommissarin in den Sinn, und ich musste all meine
Weitere Kostenlose Bücher