Der Himmel so fern
Auch wenn es für Sie beide schmerzhaft ist.« Er beendete seine Rede und stand auf, als Alex aus dem Flur rief, dass er zurück sei.
»Das ging aber schnell.« Monica lächelte, als ihr Sohn die Flasche Coca-Cola auf den Esstisch stellte. »Die Pizzen sind fast fertig. Kannst du bitte die Teller hinstellen?« Sie saß noch am Tisch. »Du, Alex …«
»Ja.« Es klapperte, als er das Porzellan aus dem Küchenschrank nahm.
»Du warst heute nicht in der Schule, stimmt’s?«
»Wieso, warum fragst du nach?« Alex erstarrte.
»Kannst du nicht einfach ehrlich sein. Du warst heute nicht in der Schule, stimmt’s?« Ihre Stimme war ruhig, klang aber traurig.
Alex fluchte. »Verdammter Mist …«
»Ich werde mich nicht mit dir streiten. Ich möchte nur, dass du mich nicht anlügst.«
In der Küche wurde es schlagartig still. Ich ertappte mich dabei, wie ich den Atem anhielt. Völlig überflüssig, denn mein Atmen war weder zu hören, noch verbrauchte ich Sauerstoff.
»Aber nicht wieder dieses Gelaber …« Er sank auf dem Stuhl nieder, auf dem vor kurzem noch Valdemar gesessen hatte.
»Ich werde nicht schimpfen.«
»Echt?« Er rieb an der Tischkante. »Okay, dann war ich wohl nicht in der Penne. Bist du jetzt zufrieden?«
Monica schwieg eine Weile. »Nein«, sagte sie schließlich. »Aber ich freue mich, dass du es gesagt hast.« Ihre Blicke trafen sich kurz. »Willst du für deine Cola ein Glas? Ich glaube, die Pizza ist jetzt fertig.«
Mikael lag auf seinem Bett auf dem Rücken und sah zum Schlafzimmerfenster hinaus. Das Glas in den Sprossenfenstern war alt, und das Abbild vom Haus auf der anderen Seite des Hofes wurde durch seine gewellte Oberfläche verzerrt. Glas war ein Material, das sich veränderte. Doch ging dies so langsam vonstatten, dass die Zeit nichts an seiner äußeren Form bewirkte, sondern nur im Material, wo sanfte Wellen entstanden. Und die waren eigentlich sehr hübsch. Was wären alte Häuser ohne alte Fenster?
Es war kurz nach zwei Uhr in der Nacht, und im Haus gegenüber brannte kein Licht mehr. Die Leute schliefen. Das sollte er auch tun. Nicht weil er am Morgen früh aufstehen und ins Büro gehen musste, sondern weil diese Müdigkeit die Tage noch so viel anstrengender machte. Noch immer war er krankgeschrieben –
depressive Episode
lautete die Diagnose des Arztes. Mikael war es im Grunde egal, wie das hieß, er wusste, wie er sich fühlte und dass morgen wieder einer dieser bleiernen Tage beginnen würde. Es war so vieles, was ihm in der Nacht den Schlaf raubte, ihm keine Ruhe ließ. Ob er seine Nachtruhe irgendwann zurückgewinnen würde? Was war es doch für ein Geschenk, eine ganze Nacht ohne Unterbrechung durchschlafen zu können! Er war ein reicher Mann gewesen, ohne es zu wissen.
Jetzt war Mikael allein zu Hause. Birgitta hatte ihm angeboten, noch eine Weile zu bleiben, doch er hatte abgewunken. Er wusste zwar, dass es ihr ein Bedürfnis war, ihm zu helfen, doch es gab einfach nichts mehr, was sie für ihn tun konnte. Die praktischen Dinge waren erledigt, jetzt blieb nur noch die Trauer zurück, und mit der konnte er ebenso gut allein sein.
Die Beerdigung war vorüber, doch nach wie vor beherrschte sie einen Großteil seiner Gedanken, sowohl wenn er wach war als auch wenn er vor sich hin dämmerte. Vielleicht war das gar nichts Besonderes. Die Vorstellung, dass sie dort in diesem Sarg lag, war unerträglich. Und dann die vielen Leute, die Worte und mitleidigen Blicke. Kollegen, mit denen Rebecka zusammen zum Essen gegangen war, zu denen sie »Guten Morgen« gesagt hatte, wenn sie kam, und »Schönes Wochenende«, wenn sie am Freitag das Büro verließ. Menschen, die er nie kennengelernt hatte, die aber in einer Beziehung zu seiner Ehefrau gestanden hatten.
Mikael drehte sich auf die Seite. Das Mondlicht fiel auf das Hausdach und tauchte die Schatten im Schlafzimmer in ein sanftes Blau. Er war überwältigt gewesen, als er begriffen hatte, dass die Vertrautheit dieser fremden Frau im Grunde an Rebeckas Zügen lag. Als er erfahren hatte, wer sie war, lagen die Ähnlichkeiten auf der Hand. Rebecka war kleiner und schlanker als Sofia, aber sie hatten die gleichen Augen, auch Kinn und Mund waren ähnlich. Die schmale Oberlippe im Kontrast zu der kindlich vorgeschobenen Unterlippe. Während er redete, hing sein Blick an ihrem Mund. Es hätte Rebecka sein können. Als er aufsah und ihr in die Augen schaute, konnte er nicht begreifen, warum sie sich nie begegnet waren. Seine
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