Der Himmel so fern
Sohn?«
»Ja. Er ist jetzt vier.« Sofia sah stolz aus. »Jede zweite Woche wohnt er bei seinem Papa. Sigge hat eine neue Freundin, und ich glaube, er wird bald Geschwister bekommen.«
»Was ist das für ein Gefühl?« Wie war ihm diese Frage herausgerutscht? Sie war viel zu privat. Vielleicht blieb Sofia deshalb auch die Antwort schuldig.
»Ich glaube, dass es für Melvin gut ist«, meinte sie. »Kinder sollten mit Geschwistern aufwachsen. Dass die Mutter nicht dieselbe ist, ist wohl eher Nebensache.«
»Ja … Aber eine Scheidung ist schon etwas Trauriges, besonders wenn Kinder im Spiel sind.« Sein Kommentar klang plump und oberflächlich, das bemerkte er selbst. Was wusste er schon darüber?
»So dramatisch ist es gar nicht. Es war schlimmer, als wir zusammenwohnten. Ich freue mich sehr für Melvin, dass Sigge ein guter Vater ist. Ihre Beziehung ist wichtiger als die zwischen Sigge und mir.«
»Das klingt sehr erwachsen.«
Sofia musste lachen. »Da hättest du mich hören sollen, als alles noch ganz frisch war! Ich brachte kaum seinen Namen über die Lippen. Ein paar Jahre hat es gedauert, das zu verarbeiten, aber jetzt ist es ganz okay.«
»Hast du auch einen Neuen?«
»Nein. Ich war bislang noch gar nicht bereit für eine Beziehung. Ich habe nur für Melvin gelebt.« Sofia lächelte. »Habt ihr nie daran gedacht, eine Familie zu gründen, Rebecka und du?«
»Nein.« Die Frage fiel in diesem Zusammenhang nicht unerwartet, und die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Am liebsten wollte er sofort das Thema wechseln, doch dann schob er noch ein paar erklärende Worte hinterher. »Na ja, das heißt«, erklärte er langsam, »ganz so stimmt das nicht. Es war sehr kompliziert. Ich wollte schon, aber Rebecka wollte nicht.«
»Grundsätzlich nicht oder einfach nicht jetzt?«
»Ich weiß es nicht.« Er biss die Zähne so heftig aufeinander, dass die Kiefer schmerzten.
Sofia sah nachdenklich aus. »Bei uns ›passierte es einfach‹. Wir haben nichts geplant. Ist das nicht meistens so?«
»In Rebeckas Leben gab es selten etwas, das ›einfach so passierte‹.« Mikael brach sich noch ein Stück von seiner Zimtschnecke ab. Gemächlich kaute er und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Was er vor kurzem erfahren hatte, die Sache mit Rebeckas Schwangerschaft und der Abtreibung, war für ihn nach wie vor ein Mysterium, und daran zu denken bedeutete, sich in eine erstickende Geschichte aus unendlich vielen Strängen zu verwickeln. Letzte Nacht hatte er von ihr geträumt. Sie war schwanger gewesen, und ihr Bauch wuchs und wuchs. Am Ende war er so riesig, dass sie von der Erde abhob und in Richtung Himmel flog, als sei sie ein mit Helium gefüllter Luftballon. Als er aufgewacht war, hatte ihm der Schweiß auf der Stirn gestanden, und er hatte das Bild von ihr als winzig kleiner Punkt am Horizont noch vor Augen. Er selbst hatte auf dem Boden gestanden und ihren Namen gerufen. »Rebecka« hatte er so laut geschrien, dass er davon aufgewacht war.
Er schluckte und versuchte, wieder ein normales Gesicht zu machen. »Wie auch immer, jetzt ist es zu spät«, sagte er.
»Für dich nicht.«
Mikael gab keine Antwort.
»Entschuldige. So ein Unsinn«, schob Sofia schnell hinterher. Wie peinlich. Nervös zupfte sie an ihren Haarspitzen. »Ich glaube, heute rede ich eine Menge Mist. Liegt wahrscheinlich an meiner Nervosität.«
»Kein Problem.« Er versuchte, sich zu sammeln. »Und natürlich hast du ja recht. Rein theoretisch«, fügte er hinzu. Er lächelte, und nach kurzem Zögern lächelte auch sie. Sie saßen eine Weile schweigend da, als Mikael ihr wieder ins Gesicht sah. »Kannst du nicht ein bisschen von Rebecka erzählen? Wir haben verschiedene Puzzleteile von ihr, und deine kenne ich nicht.«
»Hat Rebecka etwas von ihrer Kindheit erzählt?«
»Schon, aber nicht besonders viel.« Mikael schüttelte den Kopf. »Es gibt so vieles, was ich von ihr nicht weiß, Fragen, auf die ich nie eine Antwort gefordert habe. Jetzt ist es zu spät, aber ich wüsste es trotzdem gern. Vielleicht kannst du mir helfen?«
»Ich will es versuchen.«
»Erzähl’ mir von euren Eltern.«
Sofia schwieg eine Weile, wahrscheinlich überlegte sie, wo sie anfangen sollte. »Ulf und Marianne«, begann sie schließlich. »Sie waren sehr jung, als sie sich kennenlernten. Papa kam aus Borås und wollte in Stockholm auf die Kunstakademie gehen. Ich glaube, er war erst einundzwanzig, als er Mama bei gemeinsamen Freunden traf. Sie war ein
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