Der Himmel so fern
immer wie gebannt an. Was er soeben erfahren hatte, war mehr als das, was Rebecka in all den Jahren von sich gegeben hatte.
»Nein. Sie war ihr Leben lang hoffnungslos in Papa verliebt. Hat immer gesagt, er sei der Einzige, den sie haben wolle. Ich glaube nicht, dass sie je einen anderen hatte. Und sie sagte auch, dass sie zu alt für eine neue Beziehung sei.« Sofia schüttelte den Kopf. »Als sie sich trennten, war sie fünfunddreißig … Manchmal, wenn sie schon ein paar Gläschen Wein getrunken hatte, rief sie ihn an und heulte und flehte ihn an zurückzukommen, obwohl das alles schon so lange her war.«
»Ich nehme an, das stand nicht zur Debatte?«
»Stimmt. Und diese Telefonate waren die beste Methode, ihn auf Abstand zu halten.«
Mikael sah Sofia an. »Nimmst du ihr das übel?«
»Übel? Nein. Vielleicht früher einmal, doch jetzt habe ich selbst eine Scheidung hinter mir, und das war auch nicht gerade leicht. Ich glaube, ich kann sie heute besser verstehen. Es ist hart, verlassen zu werden.«
»Ja, das stimmt.«
»Aber ich glaube, Rebecka hat ihr das nie verziehen. Diese schwache Seite an unserer Mutter hat sie immer gehasst. Das ist schrecklich gemein, denn meiner Meinung nach kam Papa so viel besser weg. Eigentlich war er ja der Übeltäter. Wenn man das überhaupt so sagen kann.«
»Er wurde stattdessen der Spaßpapa am Wochenende …«
»Ja. Und dann hat er sich ganz aus dem Staub gemacht. Zog vor vielen Jahren nach Göteborg, schrieb ab und zu mal eine Umzugs- oder Ansichtskarte, aber am Ende war es auch damit vorbei. Als unser Kind auf die Welt kam, fuhren Sigge und ich runter an die Westküste, um ihm Melvin zu zeigen. Ich hatte mir wohl vorgestellt, dass Papa es schön finden würde, sein Enkelchen zu sehen, doch das ließ ihn völlig kalt. Er hatte eine neue, junge Freundin, war gerade mit einer Ausstellung beschäftigt und konnte sich nicht einmal Melvins Namen merken. Mal sagte er Martin, mal Kevin und so weiter. Ich war so wütend, als wir wieder heimfuhren. Es war ein Gefühl, als hätte er meine Familie besudelt. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen.« Sofia seufzte laut. »Hatte Rebecka mit ihm in den letzten Jahren Kontakt?«
»Nein. Überhaupt nicht. Er gehörte zu den Personen, über die sie kein Wort verlor. Genau wie bei dir. Das tut mir wirklich leid.«
»Du kannst nichts dafür.«
»Zum Teil schon.«
»Willst du noch einen Kaffee?« Sofia war schon wieder auf dem Sprung, sich ihre dritte Tasse zu holen.
»Ja, danke.« Eigentlich wollte er gar nichts mehr trinken, doch die gefüllten Tassen versprachen eine Fortsetzung ihrer Unterhaltung. Er wollte weiterreden. »Erzähl’ doch mal von Rebecka«, sagte er, als sie zum Tisch zurückkam. Er verfolgte die dünne Dampfschwade vom heißen Kaffee. Sie stieg schlängelnd in die Luft, hielt kurz über der Tasse an und wechselte dann plötzlich die Richtung. Mikael sah ihr hinterher, bis sie sich aufgelöst hatte und unsichtbar wurde.
»Ja … Das ist nicht so leicht. Rebecka hat immer gemacht, was sie wollte. Auf gewisse Weise schien es, als gingen die Ereignisse zu Hause an ihr vorbei, aber so war es natürlich nicht. Sie muss ja genauso viel mitbekommen haben wie ich. Vielleicht sogar mehr.« Sofia schaute zur Decke hinauf, als durchforste sie ihr Gedächtnis. »Ich habe Rebecka immer bewundert«, sagte sie schließlich. »Sie war eine Art Idol für mich. Vielleicht auch, weil Mama so schwach war. Rebecka war auf gewisse Weise diejenige, die alles lenkte in unserer Familie. Ich nehme an, dass sie schon sehr früh viel zu viel Verantwortung übernehmen musste, doch sie hat sich nie darüber beschwert. Es hatte fast den Anschein, als gefiele es ihr, wie es war. Sie war ja nur drei Jahre älter als ich, doch der Altersunterschied kam mir immer riesig vor.«
»Sie war also die Ordentliche …« Das überraschte ihn nicht.
»Ja, in gewisser Hinsicht schon. Sie war ja ziemlich altklug und hatte gute Noten und so. Aber als sie in die Pubertät kam, änderte sich etwas, wie das wohl bei den meisten so ist. Sie wurde etwas wilder, oder wie man es nennen will.«
Mikael sah sie erstaunt an. Es fiel ihm schwer, sich Rebecka als wild vorzustellen. »Wie meinst du das?«
»Sie hatte viele Freunde, kam abends spät heim …« Sofia zögerte. »Doch die Schule ließ sie nie schleifen, also sagte Mama kein Wort. Doch ehrlich gesagt glaube ich, sie hätte auch nichts dagegen tun können, selbst wenn sie gewollt hätte. Rebecka
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