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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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hatte einen eisernen Willen. Und zudem war sie so intelligent, tat sich so leicht in der Schule. Von uns Hochhauskindern erwartete ja niemand, dass wir hochtrabende Pläne hätten, sogar die Berufsberater hatten uns längst abgeschrieben, aber Rebecka war wahnsinnig zielstrebig. Schon auf dem Gymnasium hat sie sich mit Wirtschaft befasst, in ihrer Freizeit gejobbt, und nach dem Abschluss ist sie gleich auf die Handelsschule gegangen. Soviel ich weiß, wurde sie von einem Unternehmen schon herausgepickt, bevor sie überhaupt ihren Abschluss hatte, und dann bekam sie das Auslandsstipendium und … Ja, ich weiß nur, dass sie von da an mit Geldanlagen beschäftigt war und dass es hervorragend lief. Den Rest der Geschichte kennst du wahrscheinlich.«
    Mikael nickte. Das meiste, was Sofia erzählt hatte, hatte er schon einmal gehört, Schule, Studium und die erste Arbeitsstelle. Er suchte nach einem anderen Anknüpfungspunkt. »Und als sie klein war, wie war sie da?«
    Sofia lächelte. »Schwer zu sagen, da war ich selbst ja noch jünger … Als ich Papa damals aufgesucht habe, um ihn zur Rede zu stellen, habe ich erfahren, dass Rebecka und er sich sehr nahe gewesen waren. Sie war ein bisschen Papas Liebling. Es muss für sie sehr schwer gewesen sein, als er ging. Sie war ja damals erst acht, gerade in der zweiten Klasse. Wie man so etwas übers Herz bringt …« Sie sah Mikael an. »Seine Kinder im Stich zu lassen. Kannst du dir das vorstellen? Nichts auf der Welt würde mich dazu bringen, Melvin zu verlassen.«
    »Nein …« Mikael reckte sich und schielte auf die Uhr. Es waren bald zwei Stunden vergangen. Er war müde. Sofia sah ihn an.
    »Entschuldige, ich rede ja in einem fort.«
    »Aber ich habe dich doch gebeten zu erzählen.«
    »Ich habe an dich auch noch so viele Fragen.«
    Mikael räusperte sich. »Ich weiß nicht, ob mir das jetzt nicht zu viel wird …« Er massierte seine Schläfen leicht mit den Fingerkuppen und bemerkte erst bei der Bewegung selbst, dass er Kopfschmerzen hatte. Wahrscheinlich zu viel Kaffee. »Vielleicht können wir uns noch einmal treffen?«
    »Wenn du willst.« Sofia war sein Vorschlag nicht geheuer. »Ich will mich wirklich nicht aufdrängen.«
    »Das tust du nicht. Ich möchte mich auch gern wieder mit dir unterhalten, aber es fällt mir nicht leicht.«
    »Völlig klar. Ruf’ einfach an. Meine Nummer hast du ja.«
    Mikael nickte. »So machen wir das«, antwortete er. »Ich rufe dich an.« Er griff nach der Jacke, die über dem freien Stuhl zwischen ihnen hing. »Du …« Er hielt inne. »Danke, dass du so offen warst. Ich wünschte, ich hätte Rebecka all diese Fragen gestellt.«
    »Glaubst du, du hättest eine Antwort bekommen?«
    Mikael warf die Jacke über. »Nein«, erwiderte er. »Vermutlich nicht.«

Wie mir dieses Gespräch gegen den Strich ging! Ich hätte alles getan, um es zu unterbinden, wenn ich gekonnt hätte. Doch jedes Wort, das ich an Mikael richtete, alle Gebete, er möge diesen Ort verlassen, schienen völlig an ihm vorbeizugehen, denn er hatte nur noch Augen für Sofia.
    Ich saß mit am Tisch, auf dem leeren Stuhl zwischen ihnen, und versuchte mit allen Mitteln, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Mit ernster Stimme forderte ich ihn auf, ihrem Gerede nicht zuzuhören, doch je stärker ich ihn drängte, desto mehr Fragen stellte er. Als wäre da ein schwarzes Loch, das gefüllt werden wollte. Er wollte alles über mich wissen. Woher ich kam, wer ich war, warum das eine oder andere geschah. Und Sofia stand Rede und Antwort. Ich nehme an, das tat sie, so gut sie konnte, auch wenn manches nicht ganz richtig war oder sich in ihrer Darstellung veränderte. Sie erzählte ihm von unserer Kindheit, von unseren Eltern und von mir. Das Bild, das sie zeichnete, war hässlich und rissig. Es hatte nichts gemein mit der Wirklichkeit, an der ich Mikael manchmal hatte teilhaben lassen. Als er anfangs noch stur war und nachhakte. Die rührige Geschichte von dem armen verlassenen Mädchen Sofia, das im sozialen Abseits aufwachsen musste, hätte er von mir nie zu hören bekommen. Und ehrlich gesagt war meine Erinnerung daran auch nicht mehr als ein flüchtiger Schatten einer längst vergangenen Zeit. Erwachsenwerden bedeutet doch gerade, so etwas hinter sich zu lassen. Alles andere wäre sentimental und eine Form von Selbsttäuschung.
    Als Sofias Worte immer mehr Raum einnahmen, dort in dem öden Café, wo wir saßen, hätte ich ihr am liebsten mit der Hand den Mund

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