Der Himmel so fern
Gedanken, die mich für einen Moment fast noch einmal in die Tiefe gestürzt hätten, und beschwor stattdessen Mikaels Bild vor Augen. Ich sah sein Gesicht vor mir, seine kurzen dunklen Haare. Dachte an seine störrischen Strähnen an der linken Schläfe, die immer abstanden, dort wo der starke Wirbel war. Ich sah seine grauen Augen, die eigentlich aus ganz vielen Farben bestanden. Sie waren wie Sand: Wenn man die Körner aus der Nähe ansah, entdeckte man, dass sie gar nicht beige waren, sondern schwarz, weiß, rot, grün, blau und tausend kleine Abstufungen dazwischen. Ich zählte die Sommersprossen auf seiner Nase, die im Winter verblassten, aber nie ganz verschwanden und seinem Gesicht diesen kindlichen Ausdruck verliehen, den ich so sehr an ihm liebte.
Einen Moment lang erlaubte ich mir, in diesem Bild zu verharren, und als ich daraufhin tief seufzend die Schultern fallen ließ, verschwand der Werkraum, in dem ich gestanden hatte, und stattdessen hörte ich einen Motor aufheulen. Draußen war es Tag. Ich blickte durch die Wagenscheibe, sah mich um und stellte schnell fest, dass wir uns auf dem Strandväg befanden. Die Autoschlange vor uns stand. Ich drehte den Kopf um und sah Mikael, der beide Hände am Lenkrad hielt und ungeduldig mit den Fingern trommelte. Als hätte ich etwas laut gesagt, drehte er erschreckt den Kopf zur Seite und sah zum Beifahrersitz hinüber, wo ich saß. Doch sein Blick fiel nur auf den alten Parkschein, der auf dem Sitz lag, und so schaute er wieder nach vorn. Gerade noch wollte ich ihm etwas Tröstendes sagen, ihm mitteilen, dass ich da sei, da bemerkte ich das Lächeln auf seinen Lippen. Ich sah wieder aus dem Fenster, um den Grund für seine Freude festzustellen, da wurde mir klar, wohin wir gerade fuhren, und bei dieser Erkenntnis begann mein Magen, sich zu verkrampfen.
Mikael schlug die Autotür zu und ging um das stattliche Gebäude des Nordischen Museums herum. Er war als Erster am Eingang und musste auf und ab gehen, um nicht zu frieren. Die Kälte des Schnees kroch dennoch bald durch seine Schuhsohlen, und als er sie schließlich wahrnahm, hatte er trotz seiner Bewegungen jegliches Gefühl in den Zehenspitzen verloren. Sofia kam schnellen Schrittes auf ihn zu. An der Leine hatte sie ihren Hund, der neben ihr hochsprang. Ihre Wangen waren gerötet, deshalb vermutete Mikael, dass sie den Weg vom Karlaplan hierher gelaufen war.
»Hallo!«, sagte sie und nahm ihn in den Arm. »Und noch ein frohes neues Jahr!« Dieses Mal war das Gefühl anders. In ihrer Daunenjacke fühlte sich Sofias Körper wie ein weiches Bündel an, ganz anders als Rebecka. »Wartest du schon lange?«
»Ich war ein bisschen zu früh da, aber wir haben ja so schönes Wetter, also gar kein Problem.«
»Es ist aber kalt.«
»Ja. Aber besser so als Schneematsch.« Mikael sah hinab zu ihrem Hund, der nun neben Sofias Füßen saß. »Hieß er nicht Travolta?« Er hockte sich hin und kraulte ihn hinterm Ohr. Der Hund sah ihn an, aber es machte ihm offenbar nichts aus, von einem Fremden gestreichelt zu werden.
»Stimmt. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich ihn mitgenommen habe. Er liebt diese langen Spaziergänge.«
»Nein, kein Problem. Ich mag Hunde. Ich hätte selbst gern einen gehabt.« Mikael stand wieder auf. »Was hältst du davon, raus zum Waldemarpark zu laufen?«
Es tat gut, sich zu bewegen, und Mikael spürte, wie seine Zehen wieder durchblutet wurden.
»Wie war denn Weihnachten?« Sofia sah ihn an.
»Furchtbar, aber danke für deine SMS .«
»Dir auch vielen Dank. Heute schreibt man ja nicht mehr so viele Weihnachtskarten, da ist es ganz gut, dass es Handys gibt.«
Sie lächelte. »Und wieso war dein Weihnachtsfest furchtbar?«
»Ach, alles war so ungewohnt. Ich fühlte mich so deplatziert, nach all den Jahren wieder bei den Eltern zu sitzen. Sicher, sie waren lieb und nett und äußerst rücksichtsvoll. Doch wenn man erwachsen ist, sollte man seine Feste selber feiern. Und wie war es bei dir?«
»Schön. Melvin und ich haben gemütlich zusammen Weihnachten gefeiert, auch wenn ich ihn schon am ersten Weihnachtstag an Sigge abgeben musste. Über Silvester habe ich dann gearbeitet. Wie bist du ins neue Jahr gekommen?«
»Am Silvesterabend habe ich ferngesehen. Erst wollte ich eigentlich schlafen gehen, doch dann habe ich mich kurzentschlossen angezogen und bin zum Observatoriumswäldchen gelaufen, um mir das Feuerwerk anzusehen.«
»Ganz allein?«
»Ja, aber das habe ich mir so
Weitere Kostenlose Bücher