Der Himmel so fern
der Tür hinüber, die offen stand. »Ich kann nicht länger hierbleiben«, erklärte er dann.
»Das hat wirklich gefruchtet, aber mein Sohn sah aus, als würde er sich vor Angst gleich in die Hose machen. Ich muss jetzt nach ihm sehen. Herzlichen Dank Ihnen allen für Ihre Unterstützung. Das war wirklich toll, dass Sie alle gekommen sind, ich hätte das alleine nie geschafft.« Er verneigte sich und tat so, als würde er in einer Demutsgeste den Hut vom Kopf nehmen. Und dann verschwand er.
Valdemar stand noch immer schweigend da.
»Was ist los?«, fragte ich ihn.
Er seufzte schwer und sank auf einer der Schulbänke nieder. »Das war ziemlich anstrengend«, antwortete er.
»So zu leuchten?« Anna kam näher. »Sind Sie müde?«
»Ja.«
»Aber es war einfach phantastisch. Er hätte sonst das Holz angezündet.«
»Ich weiß es nicht, Ihnen wäre sicherlich auch noch etwas eingefallen.« Valdemar seufzte und stand wieder auf. Er war wirklich erschöpft. Jetzt ähnelte er eher einem Gespenst als eben noch, mit diesem Licht um ihn herum. Sein Gesicht war blass und die Lippen farblos. Einen Moment lang machte ich mir Sorgen, dass er ohnmächtig werden würde, doch dann tauchte Ion an seiner Seite auf. Der Engel nahm ihn in den Arm, und Valdemars Gesichtsfarbe besserte sich ein wenig. Dann verabschiedete er sich kraftlos, und beide verschwanden in der Dunkelheit.
Anna erschauerte und sah sich um. »Ich finde es wirklich ziemlich unheimlich hier«, sagte sie und verschränkte die Arme. »Ich mochte leere Schulen noch nie. Die haben etwas Gespenstisches. Nicht nur diese hier«, fügte sie kichernd hinzu. »Wie gut Sie das jetzt mit dem Licht können. Ich habe ein paarmal versucht, hier etwas in Bewegung zu setzen, doch es ist mir nicht gelungen. Sie können sich offenbar ziemlich gut konzentrieren.«
»Vielleicht.« Ich musste an das Weinglas zu Hause bei Mikael denken. Ja, Anna hatte recht, ich konnte mich gut konzentrieren. Selbst in diesem Zustand. Im ersten Moment hatte mir die Idee mit dem Weinglas gefallen, doch als ich Mikaels Reaktion sah, tat es mir leid. Ich hatte ihn doch nicht wütend machen wollen. Und den Teppich, einen persischen Kelim vom Anfang des letzten Jahrhunderts, wollte ich auch nicht ruinieren. Ich wollte doch nur verhindern, dass Sofia den Engel mitnahm. Er war ein Andenken, etwas, das Mikael an mich erinnern sollte. Im Grunde wollte ich nicht, dass Mikael Dinge, die mir gehörten, weggab, doch ganz verhindern konnte ich das vermutlich nicht. Ein paar Male hatte ich schon in meinen Kleiderschrank geschaut. Ich glaube, er hatte wirklich vor, die Teile auszuräumen und zu verschenken, doch bislang hatte ihm die Kraft dazu gefehlt.
»Woran denken Sie?« Anna betrachtete mich, und ich merkte, dass ich völlig in meinen Gedanken versunken gewesen war.
»Ich denke an Mikael«, antwortete ich.
»Ihren Mann?«
»Ja.«
»Vermissen Sie ihn?«
Ich nickte.
»Sie haben nie etwas erzählt …« Annas Stimme klang sanft. »Ich höre gerne zu, wenn Sie möchten.«
Ich wollte eigentlich ablehnen, doch mit einem Mal erschien mir die ganze Geheimniskrämerei so sinnlos.
»Ich habe mich umgebracht«, sagte ich so emotionslos wie möglich. »Ich bin in den Tod gesprungen. Dreißig Meter direkt auf Asphalt. Auch mit der Hilfe eines Schutzengels hätte man das nicht überlebt. Die Methode war idiotensicher, sehr effektiv.« Ich versuchte zu lächeln.
Anna sah mich mit aufgerissenen Augen an, sagte jedoch nichts, und so war ich diejenige, die fortfuhr.
»Ich bin nicht gerade stolz darauf«, fügte ich hinzu. Mein Lächeln war wie eingefroren. »Seitdem habe ich meine Entscheidung in jeder Sekunde bereut. Aber vorher schien es mir die beste Alternative zu sein. Oder, besser gesagt, die einzige.«
»Und warum haben Sie das getan?«
»Das ist etwas kompliziert. Ich kann es nicht erklären«, antwortete ich mit einem Seufzer. »Ich weiß nur, dass es in diesem Moment eine rationale Entscheidung war.«
»Ja … waren Sie denn krank?«
»Nein.«
»Ist etwas geschehen? Mit Ihrem Mann vielleicht? Hat Sie jemand betrogen? Hatten Sie Schulden? Haben Sie etwas angestellt? Jemanden umgebracht?«
Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Jemanden umgebracht? Nein, das war nicht der Fall.
Anna sah mich noch immer mit ernstem Gesicht an. »Sie müssen doch wenigstens eine Ahnung haben. Wenn es schon eine rationale Entscheidung war.«
Ich sank auf die Werkbank, die neben mir stand. »Ich hatte Angst,
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