Der Himmel ueber Dem Boesen
würde sie ihn wieder anlegen, bevor sie sich um zehn Uhr mit den Vertretern des Entwicklungsausschusses traf.
Als sie in den Gemischtwarenladen ging, um Zigaretten und eine Zeitung zu kaufen, fragte sie der dicke Mann hinter dem Verkaufstresen, ob sie Journalistin wäre.
«Zu schade», sagte er, nachdem sie verneint hatte. «Wir können hier jedes bisschen Öffentlichkeit brauchen.»
Londoner Akzent. Wen meinte er mit ‹wir›?
Merrily warf einen Blick auf den Zeitungsständer. Auf die Titelseite der Boulevardblätter hatte es die Story nicht geschafft, aber sie sah den Namen Fred West in der Überschrift eines Einspalters auf der unteren Hälfte des
Daily Telegraph
. Sie nahm die Zeitung mit zur Kasse und sagte beiläufig: «Warum regen sich dieLeute eigentlich so darüber auf, dass dieser Mann hier beerdigt wird? Ganz egal, was er verbrochen hat, er stammt immer noch aus dieser Gemeinde.»
«Genau wie Melanie Pullman», sagte der dicke Mann.
«Und wie würden
Sie
es finden …», eine Mittfünfzigerin in einer gelben Regenjacke trat einen Schritt von einem Drehständer mit Nylonstrumpfhosen zurück, «… wenn Ihre Schwester irgendwo auf einem Feld verscharrt worden wäre und Sie wüssten nicht mal, wo, während der Mann, der sich selbst Satan genannt hat, ein christliches Begräbnis bekommt?» Dieses Mal war es ein Akzent aus Birmingham.
«Kommt nicht in Frage», sagte der dicke Mann. «Kommt
überhaupt
nicht in Frage. Die sollten ihn heimlich, still und leise einäschern. Mit der Asche können sie machen, was sie wollen, solange es niemand mitkriegt. Dieser Ort kommt gerade wieder langsam auf die Beine. Wollen wir ausgerechnet jetzt mit einem Perversen in Verbindung gebracht werden?
Kommt nicht in Frage
.»
«Man muss sich ja nur diese weibliche Pfarrerin ansehen.» Die Frau sah Merrily an, ohne sie zu erkennen. «Wir wissen ja alle, worum es da geht. Das ist die Frau, die unbedingt Exorzistin werden wollte. Hat ein Riesentamtam darum gemacht. Und alles nur, um bekannt zu werden. Mediengeil, anders kann man die nicht nennen.»
Merrily nickte. «Das habe ich auch schon gehört.» Sie klappte den
Telegraph
zusammen. Auf dem Weg hinaus hörte sie den Mann sagen: «Exorzistin? Was soll das denn jetzt noch bringen?»
«Sie wollen sicher sein, dass er nicht zurückkommt, Richard.»
«Dazu müssen sie ihn einfach nur irgendwo anders entsorgen, und wir sind das Problem los!»
Lachen.
Werft ihn ins Gülleloch. Und diese mediengeile Pfarrerinnentusse gleich hinterher. Miststück.
Aber diese beiden waren zugezogen. Wenigstens die alteingesessenen Dorfbewohner mussten doch noch Sympathien für Tony Lodge und Cherry haben, oder? Es musste Leute geben, die Roddy jahrelang gekannt, mit ihm im Pub gesessen, mit ihm die Schulbank gedrückt, draußen mit ihm gespielt und ihn als Baby versorgt hatten – dieses arme mutterlose Kind in einem Haushalt voll wortkarger Männer. Das am kommenden Tag beerdigt werden sollte, heimlich, still und leise, nach einem viel zu frühen Tod.
Man brauchte hier nicht lange, um zu verstehen, warum die Beerdigungsunternehmer das Datum hatten ändern wollen.
Merrily ging mit ihrer Zeitung zurück zum Auto, das sie an der Hauptstraße von Underhowle geparkt hatte, die endlich einmal ohne Nebel und Regen vor ihr lag. Sie hatte den Volvo dort abgestellt, wo die Straße leicht anstieg und an der Grundschule und dem neuen Gemeindesaal vorbeiführte, der früher einmal eine Scheune gewesen war. Die Schule war einer der üblichen viktorianischen Zweckbauten. Sie war Merrily nicht aufgefallen, als sie mit Bliss und den Dorfbewohnern im Dunkeln hier vorbeigekommen war, jetzt aber brannte Licht, man sah bunte Fingerfarben-Bilder an den Fensterscheiben, und die Strenge des Hauptgebäudes wurde von den gelben Containerwänden eines transportablen Klassenzimmers im Hof gemildert.
Es war gleich Viertel nach neun. Eigentlich müsste vor dem Treffen mit dem Entwicklungsausschuss gerade noch genügend Zeit sein, um einen Blick in die Kirche und auf das Familiengrab der Lodges zu werfen.
Beerdige ihn, bevor es jemand mitbekommt. Mach es würdevoll, aber trotzdem möglichst schnell, schließlich …
Oh nein – Lols Auftritt! Morgen Abend war Lols Auftritt. Die Zeit würde gerade noch reichen, um nach Hause zurückzufahren, sich umzuziehen und nach Hereford zu fahren.
Sie lehnte sich ans Auto. Hinter der Schule waren über den Abhangdes Hügels die Häuser des Dorfes verteilt. Im Zentrum
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