Der Himmel über der Heide (German Edition)
aller Welt eingemeißelt war. Beim Anblick der fernen Orte wurde Kati plötzlich ganz leicht ums Herz. Wie klein ihre Probleme angesichts dieser Weite mit einem Mal erschienen!
«Komm!», rief sie und zog mit neuer Energie die Freundin hinter sich her und die letzten rund zweihundert Meter bis zum höchsten Punkt des Berges hinauf. «Es lohnt sich!»
Flo schnaufte und jammerte: «Das ist ja wie die Besteigung des Matterhorns!»
«Kein Wunder, dass dir die Puste ausgeht», sagte Kati neckend. «Bei der für Norddeutschland beachtlichen Höhe von 169,2 Metern …»
Oben angekommen, musste auch Flo anerkennen, dass die letzte Anstrengung sich gelohnt hatte. Von hier aus hatten sie einen einmaligen Ausblick auf die rundum liegenden Heideflächen und weitläufigen Nadelwälder. Und es war für Kati ein stiller Triumph, dass sie an diesem Tag, wie in allen Werbeprospekten beschrieben, tatsächlich am nördlichen Horizont die Turmspitzen von Hamburg entdecken konnten.
Als sie wenig später wieder auf die Räder stiegen, versprach Kati: «Von nun an geht’s nur noch bergab.»
«Nein», erwiderte Flo und ließ bereits ihre Haare im Fahrtwind flattern. «Für uns geht es ab jetzt bergauf!»
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8
Am am Sonntag zählte Pit Brüggemann bereits voll zum Team des Heidehofs. Er hatte sich unglaublich schnell in die neuen Aufgaben eingearbeitet, und Elli war optimistisch, dass sie die Hauptsaison gemeinsam meistern konnten.
Und doch ergaben sich auch weitere, unvorhergesehene Schwierigkeiten. Sibylle hatte sich am Samstagnachmittag die rechte Hand beim Bedienen der Abwaschmaschine verbrüht. Sie würde einige Tage ausfallen, und das brachte Elli fast um den Verstand. Leider lag auch die Tochter von Frau Holm mit Windpocken im Bett und konnte nicht in den Kindergarten. Frau Holm würde als Arbeitskraft daher zunächst nicht in Frage kommen.
Flo hatte sich bereit erklärt, erst am Montag in der Früh wieder nach Hause zu fahren und war am Sonntag, so gut es ging, für Sibylle eingesprungen.
Am Montag hatte das Restaurant Ruhetag. Und da sich der Küchendienst aufs Frühstückmachen beschränkte, nutzte Kati die Gelegenheit, um Flo schnell zum Bahnhof nach Handeloh zu fahren, von wo aus die Freundin den Zug nach Hamburg nehmen konnte.
Gerade als Kati sich von ihr verabschiedet hatte und der Zug abfuhr, rief Elli aufgeregt auf dem Handy an.
«Das Krankenhaus hat angerufen. Die Ärzte wollen Hinrich aus dem Koma holen!»
Da jedoch Dorothee mit dem Transporter unterwegs war, machte Elli sich Sorgen, er könnte aufwachen, ohne dass jemand an seiner Seite war.
«Hast du schon versucht, Dorothee auf dem Handy zu erreichen?», fragte Kati.
«Es ging nur das Band an.»
Kurzerhand vereinbarten sie, dass Kati auf schnellstem Wege ins Krankenhaus fahren und so lange dort bleiben sollte, bis Hinrich aus dem Koma erwacht war.
Etwa eine halbe Stunde später kam Kati am Heidekreis-Klinikum in Soltau an. Etwas außer Atem betrat sie die Intensivstation, fragte eine der Schwestern nach ihrem Vater und ob sie noch rechtzeitig gekommen war.
Die Schwester, die Kati mittlerweile schon beim Namen kannte, lächelte. «Ihr Vater schläft noch, Frau Weidemann. Aber wenn Sie ihm Gesellschaft leisten wollen, können Sie das gerne tun.»
Kati bedankte sich und versuchte nun selbst, Dorothee auf dem Handy zu erreichen. Doch das Gerät war ausgeschaltet, was Kati reichlich merkwürdig fand. Immerhin war sie laut Elli schon mehrere Stunden weg, und eigentlich hatten sie verabredet, jederzeit erreichbar zu sein, falls etwas Wichtiges mit Hinrich war.
Kati ertappte sich bei dem Gedanken, dass ihre Stiefmutter einen Geliebten haben könnte. Natürlich war diese Vorstellung absurd, aber Kati wusste, dass es einmal einen hartnäckigen Verehrer gegeben hatte. Der Inhaber einer Boutique, bei der Dorothee früher beschäftigt war, hatte nie einen Hehl aus seinem Interesse gemacht und war mehrfach mit eindeutigen Absichten im Restaurant des Heidehofs erschienen. Katis Vater hatte die Avancen seines Nebenbuhlers immer mit Humor genommen, weil er sich sicher war, dass Dorothee ihn niemals verlassen würde.
Doch vielleicht war in Wahrheit alles ganz anders, dachte Kati, als sie über den Krankenhausflur zum Zimmer ihres Vaters ging. Vielleicht war Dorothee die ewigen Sorgen leid und wollte tatsächlich alle Verpflichtungen hinter sich lassen und mit einem anderen Mann ein unbeschwerteres Leben führen. Nein, Kati schüttelte den
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