Der Himmel über der Heide (German Edition)
sie sich dagegen fast ein wenig minderwertig und langweilig. Während sie den lieben langen Tag in Hamburg vor dem Rechner in der Agentur saß, besuchte Simon Kongresse, Fachtagungen und Pressekonferenzen in London, Rom oder Kyoto. Am Anfang hatten sie noch viel gemeinsam unternommen und waren das, was sich Kati unter einem glücklichen Paar vorstellte. Ihre Beziehung war zwar immer noch recht harmonisch, aber inzwischen empfand Kati die mangelnde Struktur ihrer Partnerschaft und die wenige Zeit, die sie miteinander verbrachten, als aufreibend und beklemmend. Kaum hatte sie sich wieder an einen gemeinsamen Alltag gewöhnt und begonnen, ihn zu genießen, musste Simon wieder auf Geschäftsreise. Ständig wirbelte er ihr Leben durcheinander, und sie sah sich mehr oder weniger gezwungen, sich auf ihn und seine Bedürfnisse einzustellen. Wie oft kam er spätabends in die gemeinsame Wohnung, ohne dass er die Zeit gehabt hätte einzukaufen? Wie oft war er frühmorgens zum Flughafen aufgebrochen, ohne Zeit für einen gemeinsamen Kaffee zu haben? Wie oft verschanzte er sich an den Wochenenden am Schreibtisch, um schnell noch eine Reportage oder einen Bericht fertigzustellen? Stets saßen ihm Deadlines und Fristen im Nacken.
Kati seufzte. Eigentlich hätte in diesem Sommer alles besser werden sollen. Zumindest hatte Simon versprochen, sich auf eine Ressortleiterstelle in Hamburg zu bewerben. Dann müsste er weniger reisen, und sie hätten endlich Aussicht auf ein wirklich gemeinsames Zuhause. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit irgendwann zu heiraten und eine Familie zu gründen. Kati spielte schon länger mit diesem Gedanken. Schließlich war sie 31 Jahre alt. Doch jedes Mal, wenn sie versuchte, das Gespräch behutsam in diese Richtung zu lenken, vertröstete Simon sie. Oder er machte ein paar spöttische Bemerkungen darüber, dass sie bloß mit sich und ihrem Job unzufrieden sei. Ein Kind könne sie aus diesem Dilemma aber nicht befreien.
Sie hatten deshalb schon oft gestritten. Dabei sehnte sich Kati im Grunde vor allem nach mehr gemeinsamem Alltag und gar nicht so bald nach einem Kind. Doch angesichts der allgemeinen Krise war Simon als Freiberufler weiterhin gezwungen, flexibel und mobil zu bleiben. Das verstand Kati auch. Aber nun, da ihr Vater schwer krank war und sie Simon in ihrer Nähe brauchte, war er wieder einmal nicht da.
Stockholm! Nun fiel es Kati wieder ein. Simon war in Schweden auf einem internationalen Kongress für Meeresbiologie und würde erst am Samstag, also in drei Tagen, zurück sein. Es blieb ihr im Moment nichts anderes übrig, als ihm auf die verhasste Mailbox zu sprechen.
Nachdem sie das Handy wieder in der Tasche verstaut hatte, betrat Kati das Wohnstübchen ihrer Großmutter. So nannte Elli den Raum am westlichen Ende des großen Haupthauses. Der Heidehof wurde bereits seit mehreren Generationen von der Familie betrieben, und Großmutter Elli hatte hier ihren eigenen kleinen Wohnbereich.
Wann immer Kati diese Räume betrat, fühlte sie sich in ihre Kindheit zurückkatapultiert. Der Geruch der antiken Möbel, die allesamt mit selbstgestickten Deckchen und Fotos längst vergangener Tage dekoriert waren, war ihr ebenso vertraut wie das immerwährende Ticken der großen Wanduhr.
Obwohl Ellis Reich, abgesehen von dem noch recht neuen Crosstrainer neben dem Fernsehsessel, eher dunkel und altmodisch eingerichtet war, fühlte sich Kati dort seit jeher zu Hause. Sie mochte die Atmosphäre dieser bescheidenen Einliegerwohnung, die zwar lediglich über zwei Zimmer und eine kleine Küche verfügte, aber insgesamt viel gemütlicher wirkte, als der große Wohn- und Essbereich, den ihr Vater und ihre Stiefmutter am anderen Ende des Hauses nutzten. Der gläserne Anbau hob sich deutlich vom Haupthaus ab, in dem auch die Gästezimmer untergebracht waren. Dorothee hatte zwar viel Sorgfalt in die stetige Modernisierung gesteckt, doch Kati konnte den luxuriösen Geschmack und Dorothees Vorliebe für großgemusterte Teppiche und überdimensionierte Porzellan-Dalmatiner einfach nicht teilen. Bei einem Weihnachtsessen war es sogar zum Streit wegen der Einrichtung gekommen. Katis Vater hatte sich scherzhaft über die «vergoldeten Hundeleinen» an den neuen Küchengardinen geäußert. Und als auch die anderen in den liebevoll gemeinten Spott einfielen, war Dorothee wutentbrannt nach draußen in die Kälte verschwunden. Sie hatte nicht einmal ihren Mantel übergezogen.
Kati kannte diese Anfälle von Wut oder
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