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Der Himmel über der Heide (German Edition)

Der Himmel über der Heide (German Edition)

Titel: Der Himmel über der Heide (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
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Ersatzzahnbürste und ein Stück Seife gegeben. Auch ein Handtuch hatte sie ihr bereitgelegt. Kati würde also nicht mehr über den dunklen Flur ins Bad laufen müssen.
    Sie nahm ihr Handy aus der Handtasche und schaute nach, ob sie einen Rückruf von Simon verpasst hatte. Aber natürlich hatte er sich nicht gemeldet. Enttäuscht legte sie das Telefon auf den Nachttisch, wo sie es jederzeit hören konnte. Dann öffnete sie das Fenster, zog die schwere Gardine zu und legte sich in ihr altes, vertraut duftendes Bett.
    Wie jedes Mal, wenn sie sich in ihrem früheren Kinderzimmer aufhielt, war die Vergangenheit sehr präsent. Nicht nur die Wände, auch die Einrichtung und die Bettdecke strömten etwas aus, das sie zum einen als irritierend, zum anderen aber auch als tröstlich empfand. Die dunklen Holzmöbel, die kleinen Sprossenfenster, die ausgeblichene 80er-Jahre-Tapete mit dem pink- und türkisfarbenen Muster – alles schien mit Erinnerungen vollgesogen zu sein, die sich jetzt aus den Schatten lösten.
    Kati löschte das große Licht, knipste die Nachttischlampe an und setzte sich aufs Bett. Dann nahm sie das gerahmte Foto ihrer Mutter vom Nachttisch zur Hand und betrachtete es ausgiebig.
    Sehr viel wusste Kati nicht über sie. Sie war erst fünf Jahre alt gewesen, als ihre Mutter starb. Ihr Tod war für alle natürlich ein großer Schlag gewesen, und Kati war sicher, dass sie den plötzlichen Verlust ohne Ellis Unterstützung nicht überstanden hätte. Die Großmutter war sofort für sie da und hatte versucht, so gut wie möglich die Mutter zu ersetzen.
    Ein beklemmendes Gefühl beschlich Kati bei dem Gedanken an jene Zeit, die mit den Jahren genauso verblasst war wie das Foto. Sie zwang sich zur Ruhe, atmete gleichmäßig ein und aus. Es brachte schließlich nichts, wenn sie jetzt in die gleiche tiefe und lähmende Traurigkeit wie vor vielen Jahren verfallen würde. Sie musste stattdessen überlegen, wie sie ihrer Großmutter helfen konnte. Ob Kati ein paar Tage frei bekommen könnte? Vielleicht ließ ihr Chef ausnahmsweise mit sich reden. Er regte sich schnell auf und geriet in Panik, wenn nicht alle nach seiner Pfeife tanzten. Aber zur Not würde Kati unbezahlten Urlaub nehmen. Sie konnte ihre Großmutter und auch die Stiefmutter jetzt nicht mit all der Arbeit alleinlassen. Irgendwie musste der Betrieb weiterlaufen. Es gab Hotelgäste, die versorgt werden mussten. Auch wenn der Restaurantbetrieb vorerst eingestellt würde, hatten sie zumindest Anrecht auf ein Frühstück. Außerdem stand die Heideblüte kurz bevor, und damit kamen auch die, wie Kati wusste, dringend notwendigen Feriengäste. In den Sommermonaten musste genügend Geld erwirtschaftet werden, um den Heidehof über den Winter zu bringen. Denn dazu reichten ein paar Weihnachtsfeiern und einzelne Restaurantgäste nicht.
    Kati beschloss, gleich am nächsten Morgen ihren Chef in der Agentur anzurufen und sich fürs Erste abzumelden. Auf keinen Fall würde sie sofort nach Hamburg zurückfahren, zuvor mussten ein paar wichtige Dinge geklärt werden. Sie hoffte, dass auch die Aushilfen mehr arbeiten würden, falls es nötig wurde. An Kati sollte es jedenfalls nicht liegen. Auch wenn sie es eigentlich nie lange aushielt in der Heide, wusste sie, dass sie in der nächsten Zeit gebraucht wurde. Diesen Einsatz war sie ihrer Familie schuldig. Auch ihrer Mutter.
    Kati schluckte und stellte den Bilderrahmen zurück auf den Nachttisch. Die Angst vor schmerzhaften Erinnerungen, die sie hier einholen würden, legte sich wie ein bleierner Umhang um ihren Brustkorb. Ihr Atem ging schwer. Es gab in der Heide Orte und Dinge, die in Kati tiefes Unbehagen auslösten. Ein altbekanntes Kribbeln machte sich über ihrem Rücken breit und stieg langsam bis zum Hals auf. Schützend zog sie die Schultern hoch, aber das bedrohliche Gefühl kroch weiter, über den Nacken und den Hinterkopf.
    Kati wusste genau: Wenn es ihr jetzt nicht sofort gelang, sich zu entspannen, würde der hämmernde Kopfschmerz kommen, und dann wäre sie morgen zu gar nichts zu gebrauchen.
    Ganz ruhig, sagte sie sich, ganz ruhig! Wie ein Mantra murmelte sie die beiden Worte immer wieder vor sich hin. Als das nicht half, machte sie einige der Entspannungsübungen, die sie zusammen mit ihrer liebgewonnenen Kollegin Flo bei einem Yoga-Kurs gelernt hatte.
    Allmählich fühlte sie, wie die Anspannung nachließ und das Kribbeln abnahm. Sie schenkte dem leicht vergilbten Porträt ihrer Mutter ein winziges

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