Der Himmel über der Heide (German Edition)
aufzubessern. Das Saisongeschäft lief blendend, und vor allem Ellis Holunderblütensaft und die üppigen Eisbecher mit Früchten gingen schneller weg, als die Zwillinge bei Hinrich Nachschub bestellen konnten. Am späten Nachmittag, wenn alle Kuchengäste verschwunden waren, baute ihr Vater ihnen im Obstgarten eine improvisierte Gartendusche auf. Das Wasser sorgte allerdings erst nach einiger Zeit für Abkühlung, weil der Schlauch von der Sonne ordentlich aufgeheizt worden war. Und sehr oft war auch Andi zu Besuch gekommen und hatte mit ihnen die lauen Abende genossen. Was für ein tolles Trio sie damals gewesen sind!
Kati wischte den Gedanken beiseite, legte die Blätter zurück in die Schublade und schloss den Schrank. Langsam erhob sie sich und sah sich weiter um. Ob sie die alte Gießkanne noch irgendwo entdecken würde? Sie hatten den Sprenkler der Gießkanne damals an den Gartenschlauch angeschlossen, sodass eine richtige Brause entstand.
Kati schob eine Schubkarre zur Seite und bahnte sich ihren Weg in die hintere Ecke des Schuppens. Zwischen zusammengestellten Harken, Schaufeln und Besen machte sie ein langes, eckiges Stück Holz aus. Sie trat näher und stellte überrascht fest, dass es sich dabei nicht um die improvisierte Duschhalterung handelte, sondern um die Spitze ihrer Staffelei.
Unter einigen Mühen räumte sie die Gartengeräte weg und zerrte das sperrige Ding heraus. Tatsächlich, all die Jahre hatte ihre geliebte Staffelei hier gestanden und Staub angesetzt. Beim Versuch, sie aufzustellen, kippte das Gerüst zur Seite.
Kati sah sich nach dem Werkzeugkasten um und fand ihn schließlich in einem Regal über dem vollgestellten Werktisch ihres Vaters. Es musste eine Ewigkeit her sein, seit Hinrich hier das letzte Mal irgendetwas Handwerkliches gearbeitet hatte. Alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Früher hatte Katis Vater jede freie Minute an seiner Werkbank verbracht, weil es auf dem Hof immer etwas zu reparieren gab. Aber inzwischen waren sowohl der Werkzeugkasten als auch sämtliche Kabelrollen, Kartons und Sägen so verdreckt, dass wohl niemand mehr etwas damit anfangen konnte.
Kati hievte den schweren Kasten vom Regal auf den Boden und klappte ihn zu beiden Seiten auf. In dem Kasten sah es ähnlich chaotisch aus wie im gesamten Schuppen.
Im Grunde sah es auf dem gesamten Hof ziemlich chaotisch aus, dachte Kati. Man müsste mal überall gründlich aufräumen und die Gebäude und Zimmer entrümpeln.
Ihr Vater konnte nichts wegwerfen, das wusste Kati, und auch Elli war keine große Meisterin im Aussortieren. Ganz anders als Dorothee, deren Sachen alle einen festen Platz hatten oder gleich entsorgt wurden, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden.
Mit einem Hammer und einem Satz Schraubenschlüssel ausgestattet, ging Kati zurück zur Staffelei und machte sich daran zu schaffen. Sie zog alle Muttern fest und klopfte das bunt bekleckerte Gestell in Form. Bald machte es wieder einen stabilen Eindruck, selbst als Kati daran ruckelte. Zufrieden legte sie das Werkzeug zurück und blickte sich weiter um. Rechts neben der Werkbank standen einige Keilrahmen, ein Karton mit dem alten Farbkasten und die Rolle mit der Leinwand. Gleich daneben verhüllte ein staubiges Bettlaken einen unförmigen Haufen. Neugierig trat Kati näher und schlug den Stoff, der früher einmal weiß gewesen sein musste, vorsichtig zurück. Beim Anblick der nun zum Vorschein kommenden Bilder, hielt sie die Luft an. Es waren etliche aneinandergelehnte Leinwände, die sie bemalt hatte. Alle waren fein säuberlich in Folie verpackt und vor der Witterung geschützt.
Kati spürte einen Stich in der Brust. Dem Schmerz folgte das seltsame Gefühl behaglicher Vertrautheit.
Tapfer zog sie ein paar Bilder hervor und legte sie auf einen alten, wackeligen Holztisch, der früher in der Gaststube gestanden hatte. Dann begann sie vorsichtig auf der Rückseite die Folie der ersten Leinwand zu lösen. Als sie das Bild schließlich umdrehte, schlug sie sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Von der Leinwand lächelte ihr Jule entgegen. Sie saß auf der Veranda und hielt ihren Fotoapparat in der Hand. So war es immer gewesen: Jule fotografierte, und Kati malte.
Kati schluckte. Seit ihre Schwester nicht mehr fotografierte, hatte sie auch nicht mehr gemalt.
Wie schön sie gewesen ist!, dachte Kati und betrachtete das Bild näher.
Obwohl beide Schwestern für Fremde nur schwer zu unterscheiden gewesen waren, hatte sie Jule immer für
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