Der Himmel über der Heide (German Edition)
die Hübschere von ihnen gehalten. Vielleicht lag es daran, dass ihre Schwester schon seit der Grundschulzeit viel selbstsicherer und souveräner war. Zumindest hatte Jule nach außen immer stärker gewirkt als sie.
Behutsam stellte sie das Bild beiseite. Dann sah sie auch die anderen durch. Eines nach dem anderen drehte sie um. Und nur von denen, die ihr wichtig waren, entfernte sie die Folie, um sie genauer zu betrachten. Sie musste über das Porträt ihres Vaters schmunzeln, dessen Nase auf der Leinwand etwas zu groß geraten war. Er hatte das Bild nie besonders gemocht. Sie staunte über die Aussicht von ihrem Zimmer, den weiten Blick in die Heide, die sie mit rötlichen und bläulichen Farbtupfern gemalt hatte. Und sie erinnerte sich an Blanca, eine Stute ihres Nachbarn Carstensen, auf der Jule und sie hatten reiten dürfen.
Die Proportionen waren ihr überraschend gut gelungen, dachte Kati beim Anblick des Pferdebildes.
Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie unfassbar traurig sie und Jule damals gewesen waren, als ihr Liebling eines Tages eingeschläfert werden musste.
Seufzend verstaute Kati die Bilder wieder unter dem Bettlaken.
«Ob du auch die Erinnerungen damit zudecken kannst?»
Kati blickte auf, als sie die wohlvertraute Stimme ihrer Großmutter vernahm.
«Ach, du bist es.»
«Du willst also wirklich wieder malen.» Elli trat näher.
Schnell suchte Kati nach einer Ausrede. «Äh, nein … Es ist wegen der Hochzeit am Wochenende … also, ich brauche da noch ein paar Dekosachen.» Doch als sie Ellis warmes Lächeln sah, wusste Kati, dass es wenig Sinn hatte, ihrer Großmutter etwas vorzumachen.
«Ich werde hier wohl zuerst ein bisschen aufräumen und einiges aussortieren», erklärte sie. «Außerdem will ich meine alten Bilder durchsehen. Und wer weiß, vielleicht inspiriert mich ja das ein oder andere.»
Ellis Augen glänzten vor Rührung. «Du weißt gar nicht, wie … mich das freut!» Sie schloss Kati fest in die Arme.
«Dorothee hat mir von eurem Gespräch erzählt», sagte Elli, als sie sich wieder voneinander lösten. «Und Frau Börnsen, meine alte Hausärztin, war mit ihrer Schwester auf dem Friedhof und hat dich dort gesehen. Du weißt, schwindeln war nie deine Stärke.»
«Mmh … und Gefühle zulassen wohl leider auch nicht.» Verlegen sah Kati ihre Großmutter an. «Ja, du hast recht, ich war heute Vormittag bei Jule auf dem Friedhof. Und ich … ich habe mir über ein paar Dinge Gedanken gemacht.»
Elli lehnte ganz ruhig an der Werkbank und hörte einfach nur aufmerksam zu.
«Wir sollten hier mal Ordnung schaffen», begann Kati, «und feststellen, was hier noch für Schätze liegen. Dort drüben», sie zeigte in die Ecke hinter dem Schrank, «habe ich das alte Spinnrad entdeckt.»
«Es gehörte deiner Urgroßmutter», ergänzte Elli. «Ich dachte, ehrlich gesagt, Hinrich hätte es schon vor Jahren weggeworfen.»
«Papa kann doch nicht mal einen krummen Nagel wegwerfen», erwiderte Kati amüsiert. «Was meinst du? Ob es sich lohnen würde, das Ding zu restaurieren?»
«Ich denke, du willst malen!?» Mit großen Augen sah Elli sie an.
«Ach, Quatsch, ich meine, man könnte das alte Spinnrad doch herrichten und als Dekoration irgendwo aufstellen. Auf so etwas stehen die Leute heutzutage. Das gibt dem Hof mehr lebendige Geschichte, mehr Atmosphäre.»
«Wenn du meinst.» Elli zuckte mit den Schultern. Dann sah sie Kati eindringlich an. «Ich werde den Eindruck nicht los, dass du eigentlich über etwas ganz anderes nachgedacht hast, Liebes.»
Kati wusste, dass ihre Großmutter sie durchschaut hatte. Sie atmete tief durch, dann begann sie stockend zu erzählen: «Ich … ich werde mich von Simon trennen. Endgültig. Nächsten Montag ziehe ich aus.»
Elli legte ihr eine Hand auf den Arm. «Du weißt, hier steht immer ein Bett und ein Teller heißer Eintopf für dich.» Es klang beinahe so, als ob sie bloß auf eine Gelegenheit gewartet hätte, diesen Satz zu sagen. Vermutlich wollte sie Kati mit diesem Angebot den überfälligen Schritt in die Freiheit erleichtern.
«Danke, aber ich ziehe dann erst mal zu Flo. Ich glaube, es gibt noch ein, zwei Dinge, die ich in Hamburg erledigen muss.»
Fragend sah Elli sie an.
«Ich habe mir nämlich außerdem noch überlegt», fuhr Kati fort, «dass ich, wenn ich bis zum Jahresende in der Agentur immer noch so unzufrieden bin wie in der letzten Zeit … Also, dass ich dann kündige. Viel länger schaue ich mir das nämlich
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