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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schnellte vor und wirbelte vor dem zurückweichenden Jungen den Sand auf. Konjew biß sich auf die Unterlippe. Das sind ja großfürstliche Manieren, dachte er. Das Zarenreich ist seit 1919 tot, Genosse Borkin. Das hier bricht selbst dir den Hals.
    »Du bist ein stinkender Affe!« brüllte Borkin den Jungen an. »Laß dir einen Spiegel geben und sieh es selbst, du gelbes Schwein!«
    Die Wolfshunde sprangen vor, so weit es ihre Ketten erlaubten. Die fünfzehn Jungen blieben an der Mauer neben den Panjewagen stehen. Nur der Schwarzhaarige stand einen Schritt weiter vor.
    »Wir sind gekommen, uns zu entschuldigen, aber nicht, uns beleidigen zu lassen«, sagte er stolz. Über Borkins Gesicht zuckte es. Er ergriff Svetlanas Hand und ging mit ihr die Terrasse hinab. Die Peitsche in der Hand stellte er sich neben die geifernden Hunde und winkte.
    »Ihr habt mein Kind geschlagen …«
    »Ihr Kind?« sagte Konjew verblüfft.
    »Ihr habt Mut gehabt, sie zu schlagen, ihr Zelt zu zerreißen, die Herde wegzutreiben! Habt ihr erbärmlichen Hunde auch Mut, hierherzukommen und Svetlana die Hand zu geben und zu sagen, ›Entschuldigung‹!?«
    Die Jungen sahen sich an. Wenn sie zu Svetlana wollten, mußten sie in den Bereich der Hunde. Konjew spürte, wie ihm kalter Schweiß auf die Stirn quoll.
    »Das können Sie nicht tun, Genosse«, stotterte er.
    »Wenn du in die Hosen machen willst, steig erst vom Pferd!« Borkin sah die fünfzehn Burschen an. »Nun? Kein Mut? Gibt es unter den Jungkommunisten nur noch Feiglinge?«
    Der schwarzhaarige Mongole trat langsam vor. Die Wolfshunde sprangen ihm entgegen. Ihre Gebisse leuchteten weiß. Zwischen ihnen lagen die Zungen, als bluteten sie vor Gier.
    Der Junge zögerte nur einen Augenblick, dann ging er weiter. Keine zehn Zentimeter trennten ihn von den Hunden, als er vor Erna-Svetlana stand. Diese hatte den Kopf gesenkt und wagte nicht, ihn anzusehen.
    »Nun?« sagte Borkin.
    »Iswinite!« sagte der Schwarzhaarige. (Verzeihung!)
    Er streckte die Hand aus und gab Svetlana eine aus Birkenholz selbst geschnitzte Figur. Ein Pferd, struppig, wie es die Kalmücken reiten.
    Dann drehte er sich um, ganz Verachtung, ganz Stolz, und ging an den sich wie irrsinnig gebärdenden Hunden vorbei zu den Wagen zurück.
    Noch vierzehnmal hörte Svetlana das ›Iswinite‹ und erhielt von jedem der Jungen eine Kleinigkeit. Ein Bild, das selbst gemalt war, ein Schiffchen, eine aus Weidenruten geflochtene Reitgerte, einen Holzteller, einen Trinkbecher, das Fell eines Hermelins.
    »Besten Dank«, sagte Erna-Svetlana. »Danke schön …«
    »Du brauchst nicht zu danken.« Borkin wandte sich ab. »Komm!« Er nahm wieder Svetlanas Hand und zog sie mit sich fort ins Haus.
    »Das wäre erledigt«, sagte Iljitsch Sergejewitsch Konjew und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir haben unsere Pflicht getan. Und ich werde sie weiter tun! Darauf kannst du dich verlassen, Iwan Borkin!«
    Er wandte das Pferd und ritt aus dem Hof hinaus in die Steppe. Hinter ihm klapperten die drei Panjewagen mit den fünfzehn Jungen.
    Borkin sah ihnen vom Fenster seines Arbeitszimmers aus nach. Er erkannte die Gefahr, in die er sich begeben hatte. Aber er fürchtete sie nicht. Er vertraute auf Moskau.
    Aber Moskau war weit und Alma-Ata nahe, und zwischen Alma-Ata und Moskau können sich leicht Spuren verwischen und Menschen in Nichts auflösen.
    Denn ein Nichts ist ja der Mensch in Rußland.
    *
    »Das ist wirklich eine böse Sache, Genosse. Wir werden es nachprüfen müssen.«
    Stephan Tschetwergow, der Distriktsowjet in Alma-Ata, überlas noch einmal das Protokoll, das er von Konjews Bericht aufgenommen und diktiert hatte.
    »Weshalb hast du es nicht verhindert?«
    »Er hätte mich erschlagen! Er ist ein gewalttätiger Mensch. Erstaunlich, daß er so zarte Gedichte schreiben kann! Alles in seinem Leben ist Lüge! Auch die Hymnen auf Stalin! Er ist der typische Bourgeois! Ein Reaktionär! Ein Trotzkist!«
    »Abwarten«, sagte Tschetwergow. »Er hat mächtige Freunde.«
    »Moskau ist weit.«
    »Aber es gibt ein Telefon von Alma-Ata bis zum Kreml. Wenn man die Geheimnummern kennt …« Tschetwergow räusperte sich. »Und Borkin kennt sie! Wir müssen vorsichtig vorgehen. Iwan Kasiewitsch ist nicht einfach zu behandeln.«
    Als Konjew zurückreiste nach Judomskoje, nahm er ein Schreiben des Distriktsowjets gleich mit, das Borkin aufforderte, nach Alma-Ata zu kommen. Allerdings trug er diesen Brief nicht selbst zur Datscha, sondern schickte

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