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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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damit einen Hütejungen.
    »Was hat er gesagt?« fragte Konjew, als der Junge zurückkam.
    »Er hat den Brief gelesen, gelächelt und mir 10 Rubel gegeben.«
    »10 Rubel. Für einen solchen Brief?« Konjew zog sich in sein Zimmer zurück und grübelte. War Borkin wirklich so sicher, oder spielte er es bloß? Es ist für einen Dorfsowjet eine böse Sache, einen Feind zu haben, der mächtiger ist als man selbst.
    Am nächsten Tag schon fuhr Borkin nach Alma-Ata. Er nahm Erna-Svetlana mit. Konjew erfuhr es sofort von einem der fünfzehn Jungen.
    »Eine böse Sache, Genossen, die wir uns da eingebrockt haben«, stellte er am Abend bei einer internen Versammlung in der stolowaja fest. »Er wird uns anklagen, daß wir dieses deutsche Mädchen schänden wollten!«
    »Tschetwergow wird ihn auslachen! Er wird ihn hinauswerfen!«
    »Er wird nach Moskau einen Bericht schreiben!«
    Die Stimmen schwirrten durcheinander. Konjew schwieg. Mist, dachte er. Ich habe mich auf die falsche Seite gestellt. Was gehen mich diese Holzköpfe von Bauern und ehemaligen Sträflingen an?
    »Die Versammlung ist geschlossen!« schrie er.
    *
    Zum erstenmal ging Erna-Svetlana durch eine große Stadt.
    Sie blieb vor den doppelstöckigen Omnibussen stehen, als seien es Fabelwesen … sie bestaunte mit offenem Mund die weißen, riesigen Parteibauten, die neue Universität, die Denkmäler von Stalin und Lenin, das Theater, von dem Borkin erzählte, daß darin getanzt würde und man wunderschöne Märchen spiele.
    Die Mischung von europäischer Zivilisation und uralter, asiatischer Beschaulichkeit, die der Stadt Alma-Ata etwas unerklärbar Reizvolles und Geheimnisvolles verlieh, verstand Svetlana noch nicht, – aber sie spürte das große Erlebnis, diese Stadt zu sehen, die die Sehnsucht von tausenden Bauern war und oft die Erfüllung eines harten Steppenlebens.
    In den staatlichen Magazinen kaufte Borkin für Svetlana Kleider und einen Mantel, ein Kostüm und drei Puppen, die aus Hongkong kamen und unzerbrechlich waren. Auch einen großen Zottelbären kaufte er ihr, den sie sofort an sich drückte und nicht wieder hergab.
    Es war ein kleines Vermögen, das Borkin opferte. Allein das Kostüm, westlich geschnitten, kostete 450 Rubel.
    Dann gingen sie in ein mongolisches Restaurant, tranken grünen, starken Tee mit Honig, aßen ein Fettgebäck und ließen sich mit einer Autotaxe zu dem großen Parteihaus fahren.
    Für Svetlana war die Welt wie ein aufgeklapptes Märchenbuch, aus dem die Figuren lebendig wurden.
    Genosse Stephan Tschetwergow blickte erstaunt von seinen Papieren hoch, als Borkin mit Svetlana in sein Zimmer kam.
    »Nanu«, sagte er, »was soll die Deutsche hier?«
    »Ich will sie Ihnen vorstellen.«
    »Ich kenne sie bereits.« Tschetwergow kramte in seinen Akten herum. »Geboren in Nowy Wjassna! Ausgesiedelt nach dem Warthegau. Wollten alles Deutsche sein, als dieser Hitler sie rief. Jetzt in Judomskoje. Sollen wieder Russen werden. Am besten, man schlägt sie gleich tot! Es ist Ungeziefer, Genosse Borkin. Ich wußte nicht, daß Sie Ungeziefer lieben.«

»Das macht der Umgang mit Ihnen, Tschetwergow.«
    Der Distriktsowjet biß die Zähne zusammen. »Sie sind zu sicher, Genosse.« Er lächelte hintergründig. »Auch Stalin lebt nicht ewig. Er ist 20 Jahre älter als ich!«
    »Ich bin sicher, daß er Sie überleben wird.«
    Tschetwergow zwang sich, das plötzliche Frieren über seinem Rücken nicht zu spüren. Er nahm ein dienstliches Gesicht und läutete der Stenotypistin, einer kleinen, schlanken Kalmückin mit einem ewig lächelnden, winzigen Mund.
    »Nehmen wir das Protokoll auf, Genosse Borkin«, sagte er amtlich. »Wo fangen wir an?«
    »Dort!« Borkin zeigte auf die Kalmückin. »Schicken Sie Ihren Bettwärmer hinaus! Was ich Ihnen zu sagen habe, paßt in kein Protokoll. Oder wollen Sie hineinschreiben lassen: Iwan Kasiewitsch sagt: ›Der Genosse Tschetwergow ist ein Idiot!‹?«
    Die kleine Kalmückin grinste und blinzelte Borkin zu.
    »Raus!« schrie Tschetwergow.
    Mit einem Knicks verschwand das Mädchen. Borkin sah ihr nach, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    »Sie wird kaum 15 Jahre alt sein«, sagte er nachdenklich. »Und Sie sind verheiratet, Genosse …«
    »Was wollen Sie von mir?« knurrte Tschetwergow.
    »Ich dachte, Sie wollten mich sprechen? Fünfzehn Rüpel haben meine Svetlana geprügelt und meine Herde zerstreut. Ich habe sie gezwungen, sich zu entschuldigen. Verbieten Ihre Richtlinien die Höflichkeit,

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