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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Während die Menschen seufzen, müssen sie bellen … es ist eben die Natur. Und für Natur hatte Sussja sehr viel Verständnis.
    Boris ließ das Messer sinken. »Svetlana ist bei Natascha Trimofa. Sie ist fast irr vor Leid.« Die Stimme Boris' sank herab, aber Borkin verstand jedes Wort. »Du kennst das Gesetz der Steppenhirten, Iwan Kasiewitsch?«
    Ein kalter Schauer lief Borkin über den Rücken. Fedja, du Mißgeburt, warum kommst du nicht? Ich werde dich morgen durchprügeln, daß du vier Wochen weinend auf deinem Strohsack liegst. Er lehnte sich aufrecht an die Wand. Ich werde mit dem Ellenbogen das Fenster einschlagen und um Hilfe rufen, dachte er. Aber er wußte auch, daß es nur ein Ruf sein würde.
    Zeit gewinnen, dachte er. Nur Zeit gewinnen. Vielleicht kommt sogar Sussja. Er wird es nicht tun, wenn er Zeugen hat.
    »Du kennst Svetlana von früher her?«
    »Warum fragst du, Iwan Kasiewitsch? Würdest du an Gott glauben, könnte ich sagen: Bete noch einmal. So aber – denke an Stalin und stirb!«
    In diesem Augenblick schnellte Borkin vor und warf sich auf Boris. Von dem Anprall stürzten beide zu Boden. Boris umklammerte Borkin. »Du hinterlistiger Hund!« zischte er. »Du Schwein! Du erbärmliches Schwein!«
    Sie wälzten sich auf dem Boden durch das Zimmer und hieben aufeinander ein. Sie fühlten Blut an ihren Händen und auf ihren keuchenden Gesichtern und wurden wahnsinnig vor Wut und Mordgier.
    Die Hunde im Zwinger wurden stiller und krochen in die Ecken zurück. Sussja schlief ein. Fedja schnarchte unter der Decke.
    Es war still und dunkel auf der Datscha. Nur im Zimmer Borkins brannte noch ein schwaches Licht –
    *
    Unterdessen packte Natascha Trimofa drei Säcke voll Sachen zusammen.
    Es waren Lebensmittel, Kleidung, zwei Gewehre, zwei Pistolen und ein Säckchen mit Munition, die sie seit der Zeit unter den Dielen ihres Schlafraumes versteckt hatte, als sie aus den Sümpfen bei Saporoshje zurückkam nach Kasakstan und hier als Partisanen-Ärztin gefeiert und ›Heldin der Nation‹ genannt wurde.
    Mit zwei Gewehren kommt man weit, dachte sie. Es muß möglich sein, daß drei Menschen in einem Land verschwinden können, das so groß ist wie ein ganzer Kontinent. Wenn es auch das Leben gejagter Wölfe sein wird … es wird aber ein Leben sein, frei und glücklich in dem Gedanken, daß Borkin nicht mehr lebt.
    Nebenan schlief noch immer Erna-Svetlana. Sie hatte sich in den Schlaf geschluchzt … lange noch, nachdem Boris weggeritten war, hörte Natascha ihr leises Weinen. Aber sie ging nicht hinüber und tröstete sie. Sie packte die drei Säcke und sah ab und zu auf die Weckeruhr, ein altes Modell mit einer riesigen Schelle auf dem Gehäuse, wie sie in den staatlichen Konsumläden von Alma-Ata verkauft wurden.
    Wenn Boris den Mut gehabt hatte, Borkin zu töten, so mußte er bald wiederkommen. Eine Stunde verfliegt schnell … und doch ist sie grenzenlos und unheimlich ewig, wenn man die Sekunden zählt und das Gehirn mit jedem Ticken sagt: Jetzt – jetzt – jetzt – geschieht es! Jetzt – jetzt – jetzt hat er es getan! Jetzt –
    Natascha Trimofa verstaute die Säcke in einen kleinen Panjewagen, mit dem sie sonst zu den alten Bauernhütten fuhr, um die Kranken zu besuchen und zu versorgen. Als sie zurückkam in das Blockhaus, stand Svetlana in der Tür zum Schlafraum. Mit der Lampe in der Hand, in einem langen Hemd und den aufgelösten goldenen Haaren sah sie wie eine Erscheinung jenseits unserer Welt aus. Das schwirrende Licht umgab sie wie ein Sphärenschein.
    »Sie packen, Natascha Trimofa?« fragte sie.
    »Ja, mein Kleines.«
    »Wo ist Bor?«
    »Er kommt gleich wieder. Er hat etwas Wichtiges für die Reise zu besorgen.«
    »Und wohin sollen wir gehen?«
    »An einen sicheren Ort, mein Mädchen. Dort wird euch keiner suchen oder finden. Dort hausen die Bären und heulen die Wölfe und haben die Wälder keinen Pfad, der in ihr Inneres führt. Dort ist die Einsamkeit des Paradieses.«
    »Sie kommen mit?«
    »Ich werde mich um euch kümmern. Ich kann hier nicht so einfach weg. Ich habe über dreihundert Kranke, die mich brauchen.«
    Erna-Svetlana kam in den großen Raum. Sie stellte die blakende Petroleumlampe auf den Tisch. »Sie werden Sie nach Karaganda schaffen, wenn sie erfahren, daß Sie uns geholfen haben.«
    Natascha schüttelte den Kopf. »Und wer soll sich um die Kranken und Verletzten kümmern? Das tun sie nicht.«
    »Was kümmern Tschetwergow die Kranken!«
    »Tschetwergow ist nicht

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