Der Himmel über Kasakstan
gibt da so Methödchen, Genosse …«
»Ich weiß. Man kann singen ohne Noten.«
Sie lachten und rieben sich die Hände. Erst, als sie Sussja weinend und etwas ruhiger im Zimmer antrafen, wurden sie wieder ernst und dienstlich.
»Was sagt Svetlana dazu?« fragte Tschetwergow in einem Anflug von Intelligenz. Sussjas Kopf flog empor.
»Sie ist gar nicht auf der Datscha! Gestern abend ritt Iwan zu ihr hinaus in die Steppe, um … Na ja.« Sie hob die fleischigen Schultern. »Sie ist eben jünger als ich. Aber nicht hübscher!«
»Halt's Maul!« brummte Konjew. Stephan Tschetwergow wiegte den Kopf.
»Noch nicht zurück. Ei, ei! Sollte da etwas zusammenhängen?«
»Svetlana kann nicht die Kraft haben, einen Mann wie Borkin niederzuschlagen. Er war wie ein Baum.«
»Wem sagen Sie das, Genosse?« Tschetwergows Tatarenbart zitterte. »Schicken Sie einen raus in die Steppe. Svetlana soll sofort zur Datscha kommen! Aber er soll nicht sagen, was dort geschehen ist. Und wir fahren jetzt dahin!«
»Und Moskau?«
Tschetwergow winkte ab. »Das hat Zeit. Erst sehen wir zu, daß wir möglichst viel zusammentragen, um Moskau telefonisch zufriedenzustellen. Vielleicht gesteht Fedja, wenn wir ihn kitzeln. Was meinen Sie, Genosse Konjew?«
»Das ist ein guter Gedanke, Genosse Distriktkommissar. Bestimmt gesteht er.«
»Fedja?« sagte Sussja. Sie riß den Mund weit auf. Unglauben und Nichtverstehen zogen ihr Gesicht in die Länge. »Aber Fedja lag ja im Bett, als ich den Schatten sah –«
»Wir brauchen keine Schatten, du Mistdirne, sondern einen Lebenden!« Tschetwergow stieß sie in den Rücken und trieb sie vor sich her auf die Straße. »Und wenn du noch ein Wort sagst, ohne gefragt zu sein, jage ich dich in die Wüste.«
»Aber Fedja –«
»Ruhe!« brüllte Iljitsch Sergejewitsch Konjew. »Wenn er seine Unschuld beweist, wird ihm nichts geschehen.«
»Wenn –«, lächelte Tschetwergow und ging zu seinem Pferdewagen. »Wenn –«
*
In der Hütte Andreij Boborykins mitten im Sumpf am Balchasch-See aßen Boris und Svetlana ihre erste Mahlzeit an diesem Tag. Boborykin hatte ihnen kalten Braten einer Ente vorgesetzt und war dann mit Natascha Trimofa wieder vor das Haus gegangen.
»Was soll ich mit ihnen tun, Genossin Ärztin?« fragte er. »Sie fressen mir das Essen weg und nützen nichts. Sie können doch nicht bei mir leben, bis sie an Altersschwäche sterben.«
»Ich komme sie in einer Woche oder in zwei Wochen holen, wenn sich der Sturm in Judomskoje gelegt hat. Genau kann man das nie wissen. Und dann sollen sie hinüber in die Dsungarei und nach Persien.«
Sie gab Boborykin eine Handvoll Rubelscheine. Verwundert schaute sie Andreij an. »Warum?«
»Ich habe mir sagen lassen, du machst nichts umsonst.«
»Geld ist Dreck, Genossin. Was soll ich im Sumpf mit dem Geld? Ich brauche Munition für meine Gewehre. Ich schieße mehr, als ich dem staatlichen Fellkombinat angebe. Und mehr als 10 Prozent Fehlschüsse darf ich nicht tun. Es ist ja alles ausgerechnet in unserem Mütterchen Rußland. Wenn es nicht zu schwierig wäre, würden die Normkommissare auch das Scheißen regulieren.«
Natascha Trimofa lachte nicht. Sie dachte an Konjew und den zu Besuch weilenden Tschetwergow und stellte sich vor, wie die jetzt an der Leiche Borkins standen, sein zerschlagenes Gesicht betrachteten und Angst hatten vor einer Untersuchung durch Moskau. Sussja würde weinen, Fedja gleichgültig sein und Kerek vor Freude saufen. Oh, sie kannte sie alle auf der Datscha. Sie wußte um ihre Seelen und Regungen.
»Es kann sein, daß ich gar nicht komme, Andreij«, sagte sie sinnend. Boborykin sah verblüfft auf ihre enganliegenden schwarzen Haare. Ein Kopf wie ein junges Vögelchen, dachte er. Wenn ich ihn zwischen meine Hände nehme und drücke, wird er zerquetscht werden wie eine Eierschale.
»Warum, Genossin Trimofa?«
»Es kann sein, daß uns jemand gesehen hat. Kurz vor dem Wald begegneten wir einem Hirten. Ich weiß nicht, ob er uns erkannt hat.«
»Vielleicht war es ein Nomade.«
»Wir wollen es hoffen.«
Boborykin wischte sich über den struppigen Bart. Seine Augen waren ausdruckslos wie immer.
»Wenn Sie in drei Wochen nicht gekommen sind, werde ich Boris und Svetlana bis zur Dsungarei bringen. Aber nur, weil er Borkin getötet hat. Man sollte ein Fest darum feiern.«
Natascha Trimofa wandte sich ab und ging in die Hütte hinein. Svetlana hatte das Geschirr zusammengestellt und blies in das Feuer, das verlöschen wollte.
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