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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Boris starrte auf den Boden.
    »Ich komme in einer Woche wieder«, sagte Natascha Trimofa. »In den drei Säcken und der Tasche findet ihr alles, was ihr braucht.«
    Svetlana drehte sich herum. »Wie kann ich Ihnen danken?« fragte sie. Natascha winkte ab. »Werden Sie Borkin sehen?«
    »Ja«, sagte Natascha Trimofa leise.
    »Sagen Sie ihm, daß ich ihn nicht hasse. Das Leben zu behalten ist mehr, als das was ich hatte, zu verlieren. Aber zurückkommen kann ich nicht mehr. Sagen Sie ihm das?«
    »Ich werde es ihm sagen.«
    Boborykin stand in der Tür und glotzte. Er verstand nicht, was er hörte. »So was, so was«, murmelte er nur.
    Langsam ging Natascha Trimofa über den unterirdischen Steg durch den Sumpf zurück zum Wald. Die Sonne schien grell, aus dem Schilf dampfte die Nachtfeuchtigkeit in den blauen Himmel und verging flimmernd.
    Boborykin sah ihr nach. Ihre Gestalt verschwand bald in dem mannshohen Schilf … es schlug hinter und über ihr zusammen wie eine kurze geteilte Woge. Nur ihre Schritte hörte man noch eine Weile in der unendlichen Stille des Sumpfes … ein leises Plantschen, ein Plätschern, ein Gluckern, als wäre ein Frosch in den Moder gesprungen.
    *
    Vor der Tür ihres Hauses sah Natascha Trimofa einen Wagen stehen, als sie mit ihrem Panjegefährt in schneller Fahrt um die Biegung des Weges bog. Sie erkannte Tschetwergow, der auf dem Kutschbock saß, und Konjew, der an der Haustür stand und dabei war, das dicke Vorhängeschloß mit einer Eisenstange aufzubiegen.
    »Hej! Was soll das?« schrie Natascha Trimofa. »Am hellichten Tage brecht ihr ein?!«
    »Die Genossin Ärztin!« rief Tschetwergow und sprang auf die Erde. »Die ganze Nacht war sie weg. War's ein schwerer Fall?«
    Konjew kicherte. Er ließ von dem Schloß ab und rieb sich die Hände. Natascha Trimofa stieg vom Wagen und kam auf Tschetwergow zu. Sie war ganz ruhig, zu ruhig fast, dachte Tschetwergow, für eine Frau, die zu einer Staatsfeindin geworden ist.
    »Es war ein sehr schwerer Fall«, sagte Natascha. Sie schloß das Haus auf und stieß mit dem Fuß die Tür gegen die Holzwand. »Wenn Sie eintreten wollen, Genossen.«
    »Danke, Genossin.«
    Natascha hörte die Ironie heraus, die Tschetwergow in das letzte Wort legte. Jemand muß uns gesehen haben, dachte sie schnell. War es der Nomade, dem wir am Waldrand begegneten? War es ein Bauer? Es ist ja gleich, wer es war … sie wissen es. Sie dachte an Karaganda und das Straflager. Und sie spürte, wie es kalt in ihr wurde. Eisig, als läge sie auf einem Eisblock.
    »Es ist heute nacht etwas passiert, Genossin Ärztin«, sagte Tschetwergow, als er an dem Tisch Platz genommen hatte, auf dem vor wenigen Stunden Erna-Svetlana gelegen hatte. »Eine dumme Sache –«
    »So …?«
    »Sie haben es noch nicht gehört, Genossin?«
    »Nein.«
    »Iwan Kasiewitsch Borkin –«
    »Ach!« Natascha Trimofa lehnte sich gegen die Wand und starrte in das Licht der Petroleumlampe. Die Läden des Hauses hatte sie noch geschlossen … wozu sie öffnen, dachte sie. Sie werden für immer geschlossen bleiben. »Hat er wieder ein uneheliches Kind bekommen?«
    »Genossin! Borkin, der große Stalinfreund, ist ermordet worden!« Tschetwergow sah die Ärztin mit einem breiten Grinsen an. »Man hat ihn totgepeitscht.«
    »Ach.« Natascha Trimofa musterte die beiden Sowjets. »Es scheint Ihnen Vergnügen zu machen, Genossen.«
    »Sehr! Borkin war ein Lumpenhund. Man durfte es bloß nicht sagen. Jetzt, wo er wie ein Klümpchen Fleisch auf seinem Bett liegt, ist es erlaubt. – Sie müssen mitkommen, Genossin Ärztin.«
    »Was soll ich dabei?«
    »Wir müssen den Tod amtlich feststellen. Wir brauchen ein ärztliches Zeugnis. Er sieht nicht schön aus.«
    »Und um das zu bekommen, bemüht sich der Genosse Konjew, mein Schloß aufzubrechen?« Die Stimme Nataschas wurde hart. »Warum spielen Sie Theater, Tschetwergow?«
    »Wo waren Sie die ganze Nacht?«
    »Bei Patienten.«
    »Im Wald?«
    »Im Sumpf. Andreij Boborykin hat eine Blutvergiftung. Ich mußte ihm den Finger aufschneiden. Sie können ja zu ihm gehen, Iljitsch Sergejewitsch.«
    »Wir werden uns überzeugen. Sicherlich.« Tschetwergow erhob sich. »Fahren wir zu Borkin. Dann reden wir weiter.«
    Auf der Datscha hatte man Iwan Kasiewitsch Borkin in seinem Arbeitszimmer aufgebahrt. Sussja hatte ihn gewaschen. So sah er nicht mehr so grauenhaft entstellt aus wie beim ersten Anblick, als man ihn fand. Fedja war nicht zu sehen … Tschetwergow hatte ihn ohne viel

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