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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wasser am Seil empor und steckte den Kopf hinein.
    *
    Die Hütte lag völlig im Schilf versteckt am Ufer des Balchasch-Sees. Es führte kein Weg zu ihr … dort, wo der dichte Wald aufhörte, begann plötzlich der Sumpf. Ein schmaler Steg, nicht breiter als drei normale Männerschuhe, zog sich unter dem Sumpfboden in Windungen zu der Hütte. Man watete bis zu den Knöcheln in quietschendem, braungelbem Wasser und verfaultem Gras und Schilfstengeln. Nur wer den unter der Oberfläche liegenden Steg genau kannte, kam zu der kleinen Hütte. Jeder andere versank im Sumpf … sein Schreien hörte niemand.
    Vor allem hörte es Andreij Boborykin nicht, weil er es nicht hören wollte.
    Er wollte seine Ruhe haben – weiter nichts.
    Wie man einen solchen Steg durch den Sumpf baut, hatte er als Partisan in den Pripjetsümpfen gelernt. Während die dämlichen germanskij um den Sumpf zogen und schwindelig wurden vor lauter Kreismarschieren, sickerten auf solchen Stegen ganze Bataillone in den Rücken der deutschen Armeen.
    Andreij Boborykin schlief noch und träumte von vergangenen Zeiten, als Natascha Trimofa vorsichtig sich durch den Sumpf tastete. Sie hatte Boris und Svetlana am Waldrand zurückgelassen, denn so sicher war sie nicht auf dem schwankenden Steg, um sie mitzunehmen. Außerdem wußte niemand, ob Boborykin nicht ab und zu die Stege umlegte. Selbst Konjew wußte es nicht, und er bekam Boborykin nur zu Gesicht und zu fassen, wenn er nach Judomskoje kam, um seinen Vorrat an Gewürzen und Getränken aufzufüllen.
    Er bezahlte dann auch seine Steuern, da sich der Steuereinnehmer weigerte, in den Sumpf zu gehen. Nur im Winter und zum Frühlingsanfang verließ Boborykin für längere Zeit seine Hütte am Balchasch-See. Er reiste dann mit drei Pferdelasten voll selbst geschossener und gegerbter Felle in die Städte und verkaufte sie … Sogar in Taschkent war er schon aufgetaucht und in Asku, im chinesischen Sinkiang. Damals wollte Genosse Tschetwergow ihn bestrafen, wegen Sabotage und Verschiebung von volkseigenen Tierfellen ins Ausland … aber auch der gute Tschetwergow machte am Waldrand kehrt und verbrannte in Alma-Ata die neuangelegte Akte Boborykin.
    Es ist besser, einen einzeln leben zu lassen, als sich selbst vor aller Welt zu blamieren.
    Andreij Boborykin staunte nicht schlecht, als es an sein Fenster klopfte. Er jagte aus dem Bett, griff zu seiner Repetierbüchse und überlegte ebenso schnell, ob er öffnen oder einfach durchs Fenster schießen sollte.
    »Mach auf, Andreijewitsch!« rief eine Frauenstimme. »Und leg dein Gewehr weg! Du willst doch nicht mich erschießen?«
    »Genossin Trimofa …«, sagte Boborykin verwundert. Er ging zur Tür, spähte durch einen Spalt hinaus in das nebelige Morgendämmern und sah Natascha Trimofa frierend und naß von Tau und Nebel vor dem kleinen, trockenen Platz der Hütte stehen.
    »Nanu?« sagte Boborykin, als er die Tür öffnete. »Ich bin weder krank, noch bekommt man hier draußen die Syphilis!«
    Er lachte laut und derb über seinen Witz, aber Natascha winkte ab.
    »Ich will dir zwei Menschen bringen, Andreij.«
    »Zwei Zobel wären mir lieber«, brummte er. »Ihnen kann man das Fell über die Ohren ziehen, und man bekommt noch was dafür. Menschen machen nur Ärger und Kummer.«
    »Du mußt sie bei dir verstecken, Andreij.«
    »Kommen Sie erst 'rein, Genossin Trimofa«, sagte Boborykin. Er stieß die Tür auf und trat zur Seite. Er sah wie ein Urwelttier aus. Groß, breit, massig, mit einem langen, struppigen schwarzen Bart, der das ganze breite Gesicht überwucherte und kaum Platz für Mund, Nase und Augen ließ, die wie Findlinge in einem Dornengestrüpp anmuteten. Er trug hohe Bärenlederstiefel, mit gebleichten Sehnen umwickelt, die er allen anderen Stricken vorzog.
    »Was soll ich mit Menschen?« fragte er, als Natascha Trimofa in der Hütte stand. »Warum müssen Sie sie verstecken? Sind es Konterrevolutionäre? Fahnenflüchtige? Ausgebrochene Sträflinge? Es ist alles nur ein Lumpenpack, Genossin. Es lohnt sich nicht, sie zu beschützen. Werfen wir sie in den Sumpf, dann hat die Welt Ruhe.«
    Natascha schüttelte den Kopf. »Es sind Boris und Svetlana. Zwei Deutsche.«
    »Das ist noch schlimmer. Ich werde sie erwürgen.« Er reckte die mächtigen Hände aus. Seine Finger wirkten wie die Pranken eines Bären. »Es gibt noch zuviel Deutsche, Genossin. Ich kenne sie. Sie haben Axinja, meine Frau, so geschlagen in Dobroslawka, daß sie wahnsinnig wurde. Aber sie

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