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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zog träge, über das Schilf hin und verging dann unter der brennenden Sonne.
    »Leb wohl, Svetlanja«, sagte Konjew mit zitternder Stimme. Tschetwergow fuhr herum, er war grün im Gesicht.
    »Halt die Schnauze!« schrie er grell. »Es geschieht zum Wohle von Mütterchen Rußland!«
    *
    Als die Sonne durch die Wolken brach und die Steppe zu dampfen begann, ritten Boborykin, Natascha Trimofa, Boris und Svetlana bereits außerhalb des Gebietes von Undutowa der Muju-kum-Wüste entgegen.
    Sie waren keinem Menschen begegnet, solange sie die Zelte der Nomaden und verstreut liegende Kolchosenhütten umgingen oder sich am Rande der Steppe und in den Wäldern aufhielten. Nun aber, um den Weg nach Süden zu erreichen, mußten sie aus den schützenden Bäumen heraus und über das freie Land reiten.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte Boborykin und hielt sein Pferd an. »Entweder wir bleiben hier im Wald den ganzen Tag über und reiten in der Nacht weiter, oder wir wagen es, gesehen zu werden und bekommen mehr Werst unter die Hufe. Was sollen wir?«
    »Wir reiten weiter«, sagte Natascha Trimofa. »Je weiter wir von Judomskoje wegkommen, um so sicherer sind wir. Ausruhen können wir uns im Gebirge.«
    Vor ihnen lag die Steppe, die langsam überging in die sandige und steinige Wüste. In der Ferne, am rotblau schimmernden Horizont, halb verhangen im Morgendunst, sahen sie die einsamen, vegetationslosen Hügel und Ebenen der Muju-kum. Der Wüstengürtel zwischen Steppe und Gebirge, eine der natürlichen, fast unüberwindlichen Grenzen zum riesigen asiatischen Raum.
    Svetlana ritt an die Seite Natascha Trimofas. »Was ist dahinter?« fragte sie, als errate sie die Gedanken der Ärztin.
    »Das Gebirge … und dann wieder eine Wüste, größer als Kasakstan, das Tarim-Becken … dann wieder ein Gebirge … dann das geheimnisvollste Land der Welt, Tibet … dann wieder ein Gebirge, höher als die Wolken … und dann ein Tiefland. Indien.«
    »Und dort?«
    »Dort ist die Freiheit. Verborgen hinter zwei Wüsten und zwei zum Himmel führenden Gebirgen.«
    »Und das sollen wir erreichen? Wir drei kleinen Menschen?« Erna-Svetlana sah hinaus auf die ersten Anzeichen der Wüste. Geier kreisten im Morgendunst; es war, als hätten sie die vier Menschen schon erspäht und warteten auf sie.
    Natascha Trimofa schwieg. Boborykin legte sein Gewehr vor sich in den Sattel. Auch Boris tat es. Er blickte zu den Geiern hinüber.
    »Warum zögern wir?« fragte Natascha. Sie warf den Kopf in den Nacken. Mut, sagte sie zu sich. Nur Mut, Natascha! Die Freiheit liegt am Ende der Welt. Vielleicht erreichen sie darum nur wenige …
    »Wir wollen noch einmal mit klaren Augen um uns sehen«, sagte Boborykin mit belegter Stimme.
    »Los!« rief Natascha Trimofa.
    Sie ritten aus dem schützenden Walddunkel hinein in die grelle Morgensonne. Das goldene Pferd Boris' wieherte auf, als begrüße es die Sonne. Es hob den Kopf und trabte an den anderen vorbei an die Spitze. Langsam, mit weiten Flügelschlägen, kamen die Geier näher, strichen niedrig über die letzten Steppengräser und umschwirrten die kleine Kolonne. Ihre starren Augen sahen auf sie nieder, die spitzen, gebogenen Schnäbel blitzten in der Sonne.
    Boborykin hob das Gewehr. »Aasgeburten!« schrie er. »Ich lösche euch aus!« Er wollte das Gewehr an die Wange reißen, aber Boris fiel ihm in den Arm.
    »Schüsse hört man hundert Werst weit!«
    Boborykin starrte auf die kreisenden Vögel. »Sieh dir ihre Augen an«, sagte er bebend vor Wut. »Sieh sie dir an! Sie fressen uns schon mit den Augen –«
    Sie ritten sechs Stunden. Ohne Rast, ohne sich umzublicken. Sie wollten nicht sehen, wie das Leben hinter ihnen versank in der Rundung des Horizonts, wie sie hineinritten in das Leblose, in die Unendlichkeit, hinter der für sie wieder das Leben begann.
    Gegen Mittag stiegen sie von den Pferden und setzten sich auf ein paar bleiche, ausgelaugte Steine. Sie aßen Trockenbrot und etwas Wurst und tranken kalten Tee, den Natascha in zwei großen Lederbeuteln an ihrem Pferd hängen hatte.
    »Jeder nur vier Schlucke«, sagte sie, als sie eine Blechtasse einfüllte und herumreichte. »Der Mensch besteht zu 90 Prozent aus Wasser. Es dauert lange, bis er austrocknet.«
    Nach einer Stunde ritten sie weiter. Sie blieben im Sattel bis zum Abend. Erst als die Abendkühle über das flache Land strich und die Geröllsteine die aufgespeicherte Hitze abgaben und in den erkaltenden Händen brannten, als seien sie

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