Der Himmel über New York (German Edition)
fahren!«
María scheint das extrem komisch zu finden. Sie lacht Beifall heischend und entblößt mehr Zahnfleisch, als gut für sie ist. Ich bin versucht, ihr einen Vortrag über Frauenfreundschaften zu halten. Aber mein lückenhafter Wortschatz rettet mich vor dem Fettnäpfchen. Wer weiß schon, was Steigbügel auf Englisch heißt?
Conny schlägt vor, dass wir uns für den Heimweg ein Taxi teilen. Weil es spät ist, sagt sie, und weil am Eingang zur U-Bahn-Station 2 nd Avenue nachts oft ein einbeiniger Bettler sitzt, der seine Holzprothese neben sich auf die Stufe stellt. »Gruselig«, meint sie und schüttelt sich, »disgusting!«
Eigentlich hätte ich Lust weiterzuziehen, aber ich kann es mir nicht leisten, meine einzige Freundschaft in New York aufs Spiel zu setzen. Und Connys Stimme duldet keinen Widerspruch. Der Schwarze mit dem Goldkettchen hält uns die Tür auf und winkt uns nach. Conny wirft ihm eine Kusshand zu.
Wir gehen die 3 rd Street in Richtung Avenue D entlang. Unsere Absätze hallen im gleichen Takt zwischen den Häuserriesen auf den viereckigen Gehwegplatten. Sie sehen überall gleich aus, sogar in Queens. Unwillkürlich fallen mir die Straßen Freiburgs ein: schwarzer Asphalt, der in der Mittagssonne schmilzt, ovale und viereckige, faust- und kieselgroße Pflastersteine in allen Farben von Grau mit weißen Einsprengseln bis hin zu Rosa und Gelb.
Noch immer hängen Menschentrauben in den Hauseingängen. In einem Kneipenfenster hängt ein Schild. Breakfast always . In dieser Stadt könnte jeder in seiner privaten Zeitzone leben. Nachts um drei frühstücken. Morgens um sechs ein Fahrrad kaufen. Und um ein Uhr nachmittags ins Kino gehen.
Auch an der Ecke zur Avenue D stehen ein paar Leute auf dem Fußweg vor dem Eingang einer Bar. Allerdings sehen sie anders aus als die Gäste des Latin in Manhattan . Blonde Mädchen mit Hornbrillen, dunkelhäutige Frauen in bunten Tops, dazwischen ein paar Rasta-Typen mit Skaterschuhen, die sich zur Begrüßung mit erhobenen Handflächen abklatschen. Conny winkt ein Taxi heran. Die ganze Straße ist erleuchtet von den hellen Dreiecken auf ihren Dächern.
Wir quetschen uns zu dritt auf die Rückbank. Erst im letzten Augenblick sehe ich die Schrift über der Tür des Clubs, an dem wir gerade vorbeigelaufen sind. Es ist ein unscheinbares Schild, handgeschriebene schwarze Buchstaben auf grauem Grund.
The Poets’ Bar .
Nicht, dass ich abergläubisch wäre. Aber solche Zufälle gibt es nicht. New York hat Millionen von Einwohnern und sicher Tausende von Kneipen, Bars, Clubs, Cafés. Heute Morgen habe ich zum ersten Mal diesen Namen gelesen, heute Abend fahre ich daran vorbei.
Und dann noch die Sache mit der Freiheitsstatue: die Kopie am Flughafen, das Original auf Liberty Island, danach die Zeichnung auf einem Rucksack.
Ich sehe zu Conny hinüber. Sie hat ihre Hände vor das Gesicht gehoben und betrachtet ihre Nägel. Spreizt die Finger, als gehörte es zu einem medizinischen Test. Studiert danach ihre Handflächen, als würde sie darin lesen.
»Conny«, frage ich, »glaubst du an Schicksal?«
»Absolutely!« , kommt es ohne Zögern.
Ich frage mich, woher sie diese Überzeugung nimmt. Für sie ist alles sonnenklar: Natürlich wird sie irgendwann ganz oben in der Hitparade mitspielen. Klar gibt es das Schicksal. Zwei plus zwei macht vier. Auch in New York.
Vielleicht ist es wirklich so selbstverständlich. Vielleicht ist das Leben eine Schnitzeljagd, eine Spurensuche, ein Memory-Spiel: zwei gleiche Karten an einem Tag. Ein Flyer und ein Bar-Schild. Das passt.
»Glaubst du an die große Liebe?«, frage ich weiter.
Sie wendet sich mir zu und schielt mich an. Sieht aus, als hätte sie einen Schluck zu viel abbekommen.
»Große Liebe? Findest du Enrico so scharf?«
»Enrico? Oh, Shit, nein!« Sofort weiß ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Der Misston erstickt das Gespräch. Connys Gesicht zieht sich zu. María lehnt sich zu mir herüber.
»Unsere Boys sind dir wohl nicht gut genug, wie?«
Auch das noch. Sie halten mich für eine Rassistin. Enrico ist ein Prolet. Ein netter Prolet. Er haut mich nur nicht vom Barhocker. Ich denke angestrengt darüber nach, was Prolet auf Englisch heißt, lang genug, um zu merken, dass es das Schicksal gnädig mit mir meint: Hätte ich das Wort gewusst, wer weiß, was im Taxi los gewesen wäre.
»Doch, wirklich, Enrico ist nett«, sage ich beschwichtigend, »ich dachte aber an jemand anders.«
»Kenne ich ihn? Hast
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