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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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wenn ich zu hohe Wertungen gebe? Dann kann ich mich höchstens damit herausreden, dass ich nicht alles verstanden habe. Hoffentlich will er mit mir nicht über die Gedichte diskutieren, ich verstehe viel zu wenig davon.
    Unauffällig sehe ich mich um, beobachte, wie der Raum mit den niedrigen Tischen und den bunt zusammengewürfelten Trödler-Stühlen sich immer mehr füllt. Schade, dass auf dem Flyer kein Dresscode stand. Denn eines steht jetzt schon fest: Meine Klamotten sind die Loser des Abends.
    Dabei hatte ich so sorgfältig überlegt, bevor ich mich für Leggings und ein tief-aber-nicht-zu-tief ausgeschnittenes Shirt entschieden habe. Ganz schlechte Idee. Nicht nur, dass ich fast die einzige Weiße hier drin bin, ich bin auch die Einzige, die etwas Hautenges trägt. Andererseits: Vielleicht hat er mich gerade deshalb ausgesucht. Männer mögen so etwas.
    Ein paar Jungs mit tief hängenden Hip-Hop-Hosen nehmen an meinem Tisch Platz, machen Witze und klatschen sich zwischendurch ab. Aus den Lautsprechern singt Janis Joplin einen vertrauten Refrain.
    Freedom is just another word for nothing left to lose .

    Pünktlich um kurz nach neun betritt eine Moderatorin mit Baggypants und jungenhaft kurz geschnittenem Kraushaar die Bühne, macht eine linkische Verbeugung und schnappt sich dann das Mikrofon. Sie unterstreicht jedes ihrer Worte mit ausholenden Gesten.
    »Denkt daran«, beschwört sie das Publikum, »die Leute hier oben geben Jahre ihres Lebens für ihre Poesie, also beurteilt sie gerecht, aber zeigt ihnen eure Liebe, vergesst nicht, dass wir alle eine Familie sind!«
    »All right!« , ruft einer der Jungs an meinem Tisch. Ein bisschen komme ich mir vor wie bei einer Fernsehpredigt. Als ob gleich alle aufstehen werden und den Allmächtigen preisen.
    »Please welcome the incredible Willy Lopez!« , ruft das Mädchen.
    Die Leute an einem Tisch hinten in der Ecke fangen wie auf Kommando an, zu jubeln und zu pfeifen, während ein stämmiger Schwarzer in Latzhose auf die Bühne klettert. Er stellt sich breitbeinig hin und fixiert die Zuschauer. Es wird still. Ich erwarte, dass er etwas zu seinen Gedichten sagt. Aber er schreit erst einmal das Publikum an. Ohne jede Vorwarnung.
    »Hört mir mal gut zu!«, befiehlt er. »Ich hab euch was zu sagen. Und vergesst nicht, ich bin Dichter, ich bin sensibel. Auch, was meinen eigenen Scheiß angeht.«
    Mein Nachbar beugt sich zu mir und deutet auf den Kerl auf der Bühne: »Macht einen ganz schönen Lärm, der Typ!« Die anderen zwei bringen ihn mit finsteren Blicken zum Schweigen und er hebt entschuldigend die Hände. Jetzt ist es ganz still.
    Der laute Bühnenpoet reißt das Mikrofon aus dem Ständer, imitiert zischend einen Bass-Beat und beginnt dann ohne Musik zu rappen. Ich verstehe nicht viel von dem, was er sagt. Es scheint um Polizisten zu gehen, um Rassismus und die amerikanische Regierung. Um einen Schwarzen im Weißen Haus, der sich benimmt wie ein Weißer im Geisterhaus oder so ähnlich.
    Je länger es dauert, desto lebhafter wird das Publikum.
    »Yo, man!«
    »Keep it real!«
    Am Ende halten vier Leute im Saal Zettel in die Höhe, auf denen die Wertungen stehen. Und ich. Vorsichtshalber habe ich eine Neun gegeben. So gut fand ich es zwar auch wieder nicht, aber vielleicht habe ich auch einfach zu wenig verstanden. »We have an eight point seven, an eight point three, a nine point seven, a nine point two and a nine!« , brüllt die Moderatorin ins Mikro.
    Puh. Glück gehabt. Nur das mit der Stelle nach dem Komma muss ich mir noch angewöhnen.
    Einem älteren Mann, der ein paar ungereimte Verse über seinen Job als Taxifahrer zum Besten gibt, gebe ich eine Acht-Komma-neun. Ein Mädchen, das eine Ballade über ein misshandeltes Kind aus Brooklyn aufsagt, bekommt eine Neun-Komma-drei.
    »Es ist eine wahre Geschichte«, sagt sie mit ganz kleiner Stimme, »stand erst vor Kurzem in der Zeitung.«
    »America’s on sale!« , ruft eine Frau und stranguliert das Mikro mit beiden Händen. »My body’s free!« Nine point two? Eight point eight? Ich versuche mich auf ihre Worte zu konzentrieren.
    Aber es gelingt mir nicht.
    Leroy steht am Bühnenrand und tuschelt mit einer Frau. Einer schönen Frau. Einer Schwarzen mit einem Körper wie einer vollendeten mathematischen Kurve. Er sagt etwas zu ihr, sie lacht leise auf und legt ihm eine Hand auf den Oberarm. Er reagiert nicht darauf, als sei er es gewohnt, dass sie ihn anfasst. Sie hat sogar die gleiche Rasta-Frisur wie er.

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