Der Himmel über New York (German Edition)
das Modell »Steigbügelhalter«. Ein Star und sein treuester Fan, eine Diva und ihre persönliche Assistentin.
Während ich Conny und ihre Freundin María in der Warteschlange des Latin in Manhattan beobachte, wird mir ziemlich schnell klar, zu welcher Gruppe die beiden gehören.
Conny hat sich in Pose gestellt, eine Hand locker in der Hüfte, und erzählt von einem Second-Hand-Laden für Designermode, während María an ihren Lippen hängt. Sie ist klein, hat krauses Haar und eine glänzende Nase, und ich kann mir nicht helfen, sie erinnert mich an den Rauhaardackel unserer Freiburger Nachbarn. Beim Reden legt sie den Kopf schief und lächelt. Mich ignoriert sie, seitdem wir einander vorgestellt worden sind. Anscheinend hält sie mich für eine Konkurrentin um Connys Gunst.
Ich kenne sie gut, diese Art von Freundschaft. Marías und Connys gibt es überall, nicht nur in New York. Die Connys dieser Welt wissen immer genau, wo die besten Partys abgehen, haben ein untrügliches Gespür für Stoffe und Farben und hauen mit achtzehn von zu Hause ab, um bei einem DJ einzuziehen. Die Marías dieser Welt erkennen Modetrends frühestens, wenn sie in Versandhauskatalogen auftauchen, tragen meistens Brillen und träumen heimlich von der großen Liebe. Kaum ein Junge interessiert sich wirklich für sie, höchstens als Sprachrohr für ihre glanzvollen Freundinnen: Sag mal, du kennst die doch gut – meinst du, sie mag mich?
Das Lustige an diesen Arrangements ist, dass sich beide Freundinnen durchaus gegenseitig brauchen. Die Unscheinbare wird aufgewertet. Und die Glanzvolle muss sich nie um ihre Begleitung sorgen und hat jemanden, der ihr unangenehme Verehrer vom Leib hält.
Conny plaudert mal mit mir, mal mit María, sieht aber keine von uns dabei an. Ihre Augen scannen die Szenerie: Manhattan, 3 rd Street, Lower East Side. Typen in glänzenden Blousons und mit Schnurrbärtchen lehnen an einem Rollladen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der mit Graffiti besprüht ist. An der Ecke scheint Licht aus einem Feinkostladen. Auf dem Bürgersteig davor stehen schwarze Plastikeimer mit Blumen in Zellophan, auf Holztischen sind Kisten mit Melonen, Pfirsichen und Ananas ausgebreitet. Plastikdosen mit Obstsalat ruhen auf einem Bett aus Eiswürfeln . Open 24 hours, steht auf der gestreiften Markise. Hinter uns wird die Schlange immer länger.
Erst glaube ich, Conny halte Ausschau nach Antonio. Aber ihren Verlobten erwartet sie gar nicht.
»Freitags ist der mit seinen Kumpels zusammen. A boys’ night out ,so nennen die das. Billard spielen und sich besaufen.«
Sie kräuselt verächtlich die Lippen. Dann wendet sie sich wieder an María.
»Eins noch, mí amor . Wenn Enrico heute Abend auftaucht, übernimmst du ihn. Dem wachsen immer fünf Arme, wenn er mich sieht.«
»Enrico?«
»Du weißt schon. Der Typ, der in Raúls Werkstatt arbeitet. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er mir …« Der Rest ist unverständliches Getuschel auf Spanisch.
Mittlerweile sind wir bis zum Eingang vorgerückt. Hinter einem Samtvorhang wartet ein großer Schwarzer mit Kinnbart und einer fettgliedrigen Goldkette um den Hals. Vor ihm auf dem Holztischchen stehen eine zerkratzte grüne Metallkasse, Stempel und Stempelkissen. Er thront dort wie ein Richter in einem Justizfilm.
»May I see your ID?«
In Deutschland ist es mir schon lange nicht mehr passiert, dass ich meinen Ausweis vorzeigen musste. Er mustert die Kärtchen, die Conny und María über den Tisch reichen. Danach blättert er ratlos in dem Büchlein mit dem steifen roten Umschlag, bis er die eingeschweißte Seite mit meinem Geburtsdatum findet. Als ich wieder danach greife, hält er mich am Handgelenk fest und streift mir ein gelbes Gummibändchen darüber. Darauf steht in Großbuchstaben das Wort minor .
»Was heißt das?«, frage ich verwirrt.
»You are under the drinking age.«
Conny packt mich am Oberarm und zieht mich mit sich. Blechbläsersätze dröhnen uns entgegen. Als wir einen weiteren Vorhang zur Seite geschoben haben, stehen wir mitten auf der Tanzfläche. Die Leute erinnern mich an alte Fotos aus den Alben meiner Eltern. Fotos aus einer Zeit, in der ich noch nicht einmal auf der Welt war. Frauen mit Dauerwelle, runden Plastik-Ohrklipps und breiten Gürteln über schwingenden Röcken. Männer in Bundfaltenhosen, viele von ihnen ein Schnauzbärtchen als Blickfang im Gesicht. Sie tanzen paarweise und es sieht so aus, als hätten sie Spaß. Ich bin nicht
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