Der Himmel über New York (German Edition)
du mir nicht erzählt, du hättest einen boyfriend ?«
Gut: Conny ist nicht nachtragend. Schlecht: Conny ist neugierig. Wahrscheinlich habe ich schon zu viel verraten. Besser das Thema wechseln.
»Conny«, sage ich, »Anne hat mir heute gedroht, dass sie mich rausschmeißt. Ich glaube, die würde mich am liebsten einsperren.«
»Hör bloß auf!«, jault Conny gequält. »Mir hält die Alte auch Predigten darüber, was eine Frau tun sollte und was nicht. Dabei muss die in ihrer Jugend ’ne ganz heiße Nummer gewesen sein. Mit halb Manhattan muss die rumgemacht haben, bis sie den ollen Koslowsky geheiratet hat.«
»Echt? Was erzählt sie denn von früher?«
Conny versucht, ihre Knie zwischen Marías rechtem und meinem linken Bein zu befreien. »Den ganzen Hippiequatsch. Freie Liebe, Dreiecksbeziehungen. Die Fehler ihres Lebens. Folgen für sie und andere, die sie nie wiedergutmachen kann. Kannst sie ja selbst fragen.«
»Wenn ich dazu noch komme, eh sie mir den Koffer vor die Tür stellt.«
»Dann pennst du eben bei mir«, sagt Conny. Gähnt und lässt den Kopf in den Nacken fallen.
Vielleicht gehöre ich auch bald zu den Mädchen, die von zu Hause abhauen. Mit nichts als ein paar Schminkstiften, der angebrochenen Pillenpackung und einem Aspirin im Gepäck. Die morgens einen Hamburger vor dem Schaufenster von Tiffany’s knabbern. Und abends bei einem DJ einziehen.
Oder einem Dichter, einem namenlosen.
Denken wird man das ja wohl noch dürfen.
6.
H i, hast du Lust, in der Jury zu sein?«
Null Tage, null Stunden, neunzehn Minuten. Mein privater Countdown ist eigentlich noch voll im Gange, der Poetry Slam soll ja erst um neun anfangen. Auf der niedrigen Bühne vor der unverputzten Ziegelwand baut gerade jemand ein Mikrofon auf. Ich bin voll und ganz damit beschäftigt, ruhig zu atmen. Hätte nicht gedacht, dass das so schwer sein kann.
Und jetzt steht Mr Strawberry Frappuccino auch noch einfach so vor meinem Tisch und fragt mich was.
Seit einer Woche habe ich versucht, mir sein Gesicht vorzustellen. Immer fehlte ein Detail, als sollte ich ein Gedicht aufsagen, das ich nur flüchtig gelesen habe. Jetzt ist alles wieder da. Und ich stelle erschrocken fest, dass er mir jedes Mal noch ein bisschen besser gefällt.
Welche Jury? Welche Lust? Wie war die Frage?
»Hallo, was für eine Überraschung!«, stammle ich und versuche, gleichzeitig unnahbar und erfreut auszusehen. Keine leichte Übung.
Er schaut mich fragend an. Ich spüre, wie meine Mundwinkel einfrieren.
Er hat nicht an mich gedacht, seit diesem Tag neulich im Coffeeshop. Zwei Begegnungen, und er erkennt mich immer noch nicht wieder.
Er steht breitbeinig vor mir, wippt dann langsam vor und zurück. Über seiner Nasenwurzel bildet sich schließlich eine Falte.
Steht ihm gut.
»Ich weiß nicht, vielleicht ist es ein blöder Spruch«, sagt er schließlich zögernd, »aber du kommst mir irgendwie so bekannt vor!«
Halleluja. Wenigstens hat er mich nicht völlig vergessen.
Ich atme tief durch. »Neulich, im Café. Du hast mir erklärt, wie das geht mit dem Bestellen. Und so.«
Er wirft den Kopf in den Nacken und lacht. »Ja, jetzt erinnere ich mich. Das qualifiziert dich für die Jury: Anfängerin im New Yorker Coffeeshop. Ich heiße übrigens Leroy. Leroy Kingston Smith.«
»Ja. Schön. Ich meine – also, ich heiße Jenny.«
Ich sag jetzt lieber nichts mehr. Was für ein Gestammel!
Er drückt meine Hand. Seine Haut ist trocken und warm. Schwarz auf der Außenseite seiner Finger, rosig auf der Innenseite. Dann legt er einen Block und einen schwarzen Filzschreiber vor mich hin.
»Was soll ich damit?«
»Du vergibst Noten. Null ist für ein Gedicht, das besser nie geschrieben worden wäre. Zehn ist für eins, das dir einen Schauer über den Rücken jagt und Shakespeare alt aussehen lässt.«
»Schreibst du … ich meine, machst du auch mit beim Slam?«
»Klar, was denkst du denn?«
Ich weiß nicht, was ich denke. Jedenfalls kannte ich noch nie einen Fahrradkurier, der Gedichte schreibt.
Er beugt sich vertraulich zu mir herunter, legt mir sanft eine Hand auf den Rücken. »Ich hoffe, du wertest neutral. Obwohl ich dir zu deinem Kaffee verholfen habe.«
Dann lässt er mich los und verschwindet im hinteren Teil des Raumes. Ich vermisse Conny. Jetzt hätte ich gerne jemanden, der mir ein Bier bestellt. Seufzend nehme ich einen Schluck Cranberry-Schorle.
Am besten, ich vergebe nur Neuner- und Zehnernoten. Oder, halt: Blamiere ich mich,
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